Gesprächsrundschau

8.Januar 2025 – Haffners Duell 1939

Vorige Woche druckte die FAZ einen Artikel von Hannes Hintermeier, dem langjährigen Ressortleiter, über einen singulären Text aus der Hitlerzeit. Die  „Geschichte eines Deutschen – Erinnerungen 1914 – 1933“ von Sebastian Haffner stammte aus dessen Nachlass. Entstanden war er 1939, vollständig erscheinen konnte er erst 2002. Die ersten Sätze lauteten:

Die Geschichte, die hier erzählt werden soll, hat zum Gegenstand eine Art Duell. Es ist ein Duell zwischen zwei sehr ungleichen Gegnern: einem überaus mächtigen, starken und rücksichtslosen Staat, und einem kleinen, anonymen, unbekannten Privatmann.  Dies Duell spielt sich nicht auf dem Felde ab, das man gemeinhin als das Feld der Politik betrachtet; der Privatmann ist keineswegs ein Politiker, noch weniger ein Verschwörer, ein >Staatsfeind<. Er befindet sich die ganze Zeit über durchaus in der Defensive. Er will nichts weiter, als das bewahren, was er, schlecht und recht, als seine eigene Persönlichkeit, sein eigenes Leben und seine private Ehre betrachtet. Dies alles wird von dem Staat, in dem er lebt, und mit dem er es zu tun hat, ständig angegriffen, mit äußerst brutalen, wenn auch etwas plumpen Mitteln.“

Wer dächte bei diesen Sätzen nicht sofort an das tödliche Duell zwischen Russland und der Ukraine?  Haffner  dachte vermutlich an etwas anderes. Preussische Gymnasiasten wie er kannten den altgriechischen „Dialog der Melier“ des Thukydides.  Der Kampf der kleinen Insel Melos gegen das spartanische Heer erscheint hier  in Form eines geschliffenen Dialogs:  verfasst im 5. Jahrhundert vor Christus, als eigenes Kapitel aus dem Peloponnesischen Krieg.  Auch die kleine Insel möchte gegen den mächtigen Gegner aufstehen, auch sie möchte eigenes Leben, eigenes Recht und eigene Ehre bewahren – aber umsonst. Grausam ist ihre Hinrichtung.

Haffner beschließt seine Vorrede: „Mein privates Duell mit dem Dritten Reich ist kein vereinzelter Vorgang. Solche Duelle, in denen ein Privatmann sein privates Ich und seine private Ehre gegen einen übermächtigen feindlichen Staat zu verteidigen sucht, werden seit sechs Jahren in Deutschland zu Tausenden und Hunderttausenden ausgefochten – jedes in absoluter Isolierung und alle unter dem Ausschluss der Öffentlichkeit.“

Seit gestern, seit dem 8. Januar 2025, sieht sich die Welt bedroht von einer neuen, nahezu freiwillig gewählten westlichen Weltkriegsmacht, die sich gegen eine östliche in Stellung  bringen will.  Die Dimensionen eines Peloponnesischen Krieges sind längst übertroffen. Präsident  Donald Trump hat seine territorialen Wünsche vorgestellt – Wochen vor seiner regulären Inauguration.  Diese Pressekonferenz war  eine Kippfigur zwischen Dialog und Duell.  Grönland will er kaufen, Panama Kanal und ganz Kanada  übernehmen. Notfalls mit Gewalt.  Dagegen zu sein ist für uns kleine europäische Bündniswelt heute gottlob kein Einzelwunsch.

2025-01-09T15:21:19+00:0001 '25|Gesprächsrundschau|

25. Dezember 2024 – Das Schweigen, von wem?

Heute , am ersten Weihnachtsfeiertag, sprach Papst Franziskus den obligatorischen Segen Urbis et Orbis in Rom. Tausende von Pilgern auf dem großen Platz  lauschten, wie er die Rede mit einer Ermahnung begann: in der Ukraine sollten doch bitte die Waffen schweigen. Ist es nicht seltsam: wir reden vom „Sprechen“ oder „Schweigen“ der Waffen, als wären sie Menschen. Dabei geht es garnicht nur um Waffen von und für Menschen, weil alle Waffen auch Häuser und  Infrastrukturen, Tiere und Landschaften mörderisch treffen können und sollen. Wo das Menschengespräch endet, beginnt oder kann beginnen das Sprechen der Waffen, das Gespräch in Waffensprache.  Als Organersatz der Körpersprache. Und wie beim Menschengespräch, kann es dabei Unterbrechungen geben, Pausen und Schweigen:  Schweigen auf Dauer als tückische Finte oder als Waffenstillstand oder gar Frieden.

Die Waffen nicht sprechen zu lassen gelang  Deutschland legendär gut im Zuge der Wiedervereinigung.  Aber durften sie endgültig schweigen?  Seit dem Zweiten Weltkrieg wartet die politische Welt auf einen Friedensschluss . Die Zwischenlösung im „Zwei-plus-Vier-Vertrag „ von 1990 liess bekanntlich Reparations- und sogar Grenzfragen offen. Und nun verlangt der neue Verteidigungsminister Pistorius von uns eine neue „Kriegstüchtigkeit“. Kommunen sollen sich um Bunker kümmern, U-Bahnhöfe werden auf ihre Brauchbarkeit untersucht, Sirenen zur Probe geläutet. Aber Sirenen heulen:  als Vorspiel der Waffensprache.  Wie sollte man da nicht dem Papst recht geben, wenn er heute das Schweigen der Waffen verlangte.

2024-12-25T19:12:28+00:0012 '24|Gesprächsrundschau|

16.12.2024 – Zitterndes Schweigen

Seit einer Woche steht die politische Welt noch flammender da denn je. Syrien wurde von einer islamistischen Truppe namens HTS  vom Diktator Assad befreit, der floh samt Familie nach Moskau. Seine Soldaten liessen sich überwältigen, HTS gelangte binnen einer Woche nach Damaskus und führt seither die Regierung.  Das Volk jubelt, ein „normales“ muslimisches Leben scheint möglich. Schulen und Hochschulen sind eröffnet, Handel wird getrieben, man darf andere Währungen kaufen. Ein Freitagsgebet für alle , unzensiert, zeigte Menschen im Glück.

Gott hält sich bedeckt. Er überlässt den Dialog den Großmächten. Israel lässt erneut Waffen sprechen, ebenso Erdogan (gegen die Kurden), der Iran schweigt nach dem Verlust russischer Deckung. Amerika hofft auf den neuen Präsidenten. Die Medien präsentieren dem Westen Experten, kundige Korrespondenten wie Kristin Helberg. Sie weiss wirklich fast alles. Im youtube Kanal „jung & naiv“spricht sie fast zwei Stunden lang über die herrschenden Verhältnisse.

2024-12-18T14:44:44+00:0012 '24|Gesprächsrundschau|

2. Dezember 2024 – Das Machtwort

Die tagesaktuellen Rezensionen des MerkelBaumann Buches sind inzwischen erschienen,  Zeitschriften werden folgen, Historiker warten noch auf das ultimative Desaster, für das Merkel vorauseilend verantwortlich gemacht wird.  Nur Navid Kermani, der Philosoph unter den deutschen Autoren, geht in der ZEIT etwas freundlicher auf sie ein, lobt ihre Kindheits- und Jugenderinnerungen und anschaulichen DDR-Lebensverhältnisbeschreibungen. Einmütig schimpft man aber über die spätere  Kanzlerin. Nicht nur die Spaltung der CDU, vor allem die großen Krisen der letzten 20 Jahre scheint sie allein bewirkt und missmanaged zu haben; sie allein hat mit dem sprichwörtlichen Machtwort „Das schaffen wir“ 2015  katastrophischen Unsinn in die Welt gesetzt und befördert. Für ostdeutsche Menschen wurde sie zum Sündenbock.

Der Modus des „Machtwortes“ schien ja hierzulande längst vergessen. „Führerwort ist Gesetzeswort“, hiess es einst bei Carl Schmitt, der inzwischen fast täglich von TikTok UserInnen gelesen wird: nicht buchstäblich, wohl aber im Habitus der Influencer. Interessant auch, dass in der – meist männlichen – Wut auf Merkel verschwindet, was noch vor wenigen Jahren als Krise der Repräsentanz beklagt wurde: Sündenböcke sollen ja gerade repräsentieren, sind ja gerade ein archaisches Werkzeug der Demokratie, das gerade eben in Buchform unversehrt auf die Bühne zurückkehrt. Vielleicht trug diese weibliche Gestalt aus dem Osten es immer schon mit sich? Alle Welt rätselte, wie eine nicht charismatische, nicht rhetorisch begabte, nicht im Sinne Max Webers erratische Figur des öffentlichen Lebens dennoch 16 Jahre Macht über das ganze Land  ausüben konnte. War es ihre Begabung zum Gespräch, zum Kompromiss, zur ausdauernden Schlafverdrängung? Wer weiss. Vielleicht war es auch einfach das Wörtchen „Wir“ von Anfang an.

2024-12-03T11:20:10+00:0012 '24|Gesprächsrundschau|

27. November 2024 – Stichtag: Angela Merkels Autobiographie

Gestern erschien die lang erwartete Autobiographie von Angela Merkel. Mehr als 700 Seiten, verfasst zusammen mit ihrer langjährigen Vertrauten im Kanzleramt, Beate Baumann.  Jetzt müssen oder dürfen wir alle lesen, jung und alt, Generationen, die mit ihr aufwuchsen und solche, die mit ihr alt wurden.  An sich ein Geschenk, um über sich selber nachzudenken. Also in ein Selbstgespräch zu geraten. Wann wird so etwas schonmal angeboten, für einen Zeitraum von nun fast zwanzig Jahren?

Schon nach wenigen Seiten merkt man, warum es so lang wurde. Für eine Millionenleserschaft wird mit der Lupe gearbeitet, winzige Details, kleine Dialoge, unterbrochen von staatsmännischen und historischen Erwägungen. Wer sonst könnte sich das erlauben? „Dichte Beschreibung“, nannte man das eine Zeitlang, aber es ist eben mehr, weil es mitten in unseren Wahlkampf gerät. Absichtsvoll, kann man annehmen.

2024-12-04T15:16:42+00:0011 '24|Gesprächsrundschau|

24. November 2024 – Von der Unterhaltungsgesellschaft zur Überlebensgemeinschaft

Vor rund einem halben Jahr notierte ich hier den markanten Satz des deutschen Verteidigungsministers Pistorius, die deutsche Gesellschaft müsse „kriegstüchtig“ werden. Es ging  um die Wehrpflicht und die Ertüchtigung der Armee. Zu viele Waffen hat man offenbar an die Ukraine vergeben, zu wenig im eigenen Land modernisiert.  Obgleich angeblich eine Mehrheit der Deutschen Frieden wünscht (wie Frau Wagenknecht),  ist seit März 2024   – also seit dem AUdas Ansehen des Verteidigungsministers kontinuierlich gestiegen,  bis  hin zur Kanzleroption.  Davon distanzierte er sich nun vergangenes Wochenende offiziell. Was aber nichts heisst.  Denn inzwischen sind Initiativen aller Art unterwegs zur deutschen Kriegstüchtigkeit:  Kurse in Schulen trainieren das Überleben, am heutigen Sonntag predigte  in der Gemeinde Grunewald zum ersten Mal wohl ein Militärseelsorger „mit seinem Team“; die angesehene Literaturagentin Karin Graf hat zur Vorweihnachtszeit in der Berliner Gedächtniskirche  eine literarische Reihe eröffnet. Besinnliches wird man dort erfahren, letzte Dinge werden zur Sprache kommen, denn zum Krieg gehört der Tod, und der Tod gehört in allen Kulturen zur Religion.

Beides: Krieg und Religion haben eigene Dialogiken. Der christliche Dialog entfaltet sich zwischen Gemeinde und Priester, mit Lektüre, Predigt, Beichte, Segen und Liturgie. Ausser dem Kirchenjahr ist nicht alles traditionell: Organisten können moderne Musik spielen, Pfarrer können politisieren, Kirchenleitungen und Gemeinden können aufbegehren. Ausser in orthodoxen Verhältnissen. Die russische Kirche wurde zum Büttel einer Diktatur. Amerikanische Evangelikale dienen einem Trump. Wie wird sich die europäische Kirche „kriegstüchtig“ machen?

2024-11-26T11:24:01+00:0011 '24|Gesprächsrundschau|

20. März 2024 – Kriegstüchtig werden

Sollen die Deutschen, sagt seit geraumer Zeit der deutsche Verteidigungsminister Pistorius, und meint damit einerseits die Aufrüstung der Bundesrepublik nach den Massgaben der USA – also das Erreichen der ZweiProzentHürde, die allen NATO Partnern vorgegeben sein soll -, andererseits die Reaktion auf das maßlose Geschehen zwischen Russland und der Ukraine. Immer näher rückt ja die argumentative Situation, wonach Russland auf NATO – Angriffe reagieren könnte, und zwar atomar. Der gegenwärtige Streit um eine Waffe für das ukrainische Militär namens Taurus balanciert dabei auf einem Hochseil. Während Kanzler Scholz kategorisch die Lieferung ablehnt, ereifern sich Mitglieder des Bundestages über das Gegenteil, unter Gefahr von Durchstechereien. Man diskutiert, wie diese Waffe kriegstüchtig sein könnte, um russische Positionen und Objekte zu zerstören, wer diese Fertigkeit an Ukrainer weitergeben kann und ob nicht die BRD darunter leidet. Genaugenommen hätte Präsident Putin sagen können, dass der NATOfall vorliege, etwa weil Staaten wie Schweden und Finnland ihre Neutralität für die Mitgliedschaft aufgeben und vieles andere mehr. Wie man sieht, ist die Gebetsmühle „Wandel durch Handel“ inzwischen völlig sinnleer. „Wandel durch Nicht-Handel“wird mittels Sanktionen betrieben und zielt auf den ökonomischen Zusammenbruch des Gegners. Man hat nicht mit Putins Raffinesse, mit der russischen Indolenz und Ausdauer gerechnet, auch nicht mit den vielfachen Kooperationen auf der internationalen Bühne. Also mit China, mit Indien, mit vielen antiwestlichen Staaten. Einen Tag nach der Ermordung des aufsässigen Befehlshabers der Wagner Truppe, Prigoschin, fand eine Sitzung der Briks-Staaten statt, mit sechs neuen Mitgliedern. Alle zusammen bildeten eine Mehrheit der heutigenMenschheit ab. Und seit vorgestern ist Putin erneut Präsident des russischen Reiches. Wie können unter dieser Voraussetzung die Europa-Wahlen am 9. Juni verlaufen?

2024-11-26T11:33:16+00:0003 '24|Gesprächsrundschau|

31. Januar 2024 – Vom Streit zum Streik

Wer die aufgeregten Debatten der französischen Philosophen aus den letzten Jahrzehnten in Erinnerung ruft, wird nicht nur Francois Lyotard entdecken, mit seiner Idee des grundsätzlich agonalen Charakters von Dialogen, sondern auch die belgische Politologin Chantal Mouffe, auf dem Ross des deutschen Streitphilosophen Carl Schmitt. Für einen linken Populismus warb sie schon vor zehn Jahren, und für eine unversöhnliche Freund-Feind Gesinnung. In Frankreich haben wir das alles erlebt, die Gelbwesten und andere brutale Streiks ohne Rücksicht auf Verluste. Franzosen, lernt man, wollen immer wieder Revolution spielen: was aus dieser wurde, ist offenbar gleichgültig. Macron hat sich wacker gehalten, auch jetzt, inmitten der wieder gnadenlosen Bauernaufstände, die unsere eigenen hierzulande noch übertreffen. Morgen wird er in Brüssel erwartet. Frau Wagenknecht hat sich die Richtung zueigen gemacht, und die aufstürmenden Demonstrationen der deutschen Bevölkerung / Linken in den letzten Tagen bekräftigen sie. Niemand hätte gedacht, dass die muffigen deutschen Nichtwähler und Meinungsfreaks aus den Häusern kommen und sich hier engagieren. Aber offenkundig sollen diese Hunderttausende von Demonstranten gegen die AfD auch die schwache Repräsentanz der Linken im Bundestag kompensieren, also eigentlich gerade nicht Wagenknecht helfen. Was sagt sie dazu? Man fragt sich, ob hier Vorspiele zum Bürgerkrieg aufgeführt werden. Jedenfalls hält die Lunte dazu gerade der bodenlos freche Coup der AfD, ein Treffen im Herzen Preussens, unweit von Potsdam, in einem Adlon Hotel zu organisieren, in dem nichts weniger als Adolf Eichmanns Madagaskarplan vorgestellt wurde: Austreibung der Juden, hiess es 1937ff, wäre auch fast 1940 von Hitler umgesetzt worden, hätten die Briten damals nicht die Region beherrscht. So also ist die Empörung von heute auch ein markerschütterndes Echo auf damals: wenn auch im Kontrast zu den jetzigen Turbulenzen des Bürgerkriegs zwischen Hamas und Israel. Kann Populismus – also massentaugliches Manövrieren – in so einer Lage helfen? Oder geht es um Sturz unseres farblosen Königs, pünktlich zu den Europawahlen im Juni?

2024-10-23T13:41:52+00:0001 '24|Gesprächsrundschau|

19. Januar 2023 – Im Augiusstall der Diskurse

Man muss sie wirklich einmal würdigen: die Anstrengungen des FAZ Herausgebers JürgenKaube, Sinn und Verstand in den öffentlichen Diskurs zu bringen. „Verwildert“ sei er, hiess es vor drei Tagen, “ der Schall ist schneller als das Licht. Minimale Erwartungen an Argumente werden nicht erfüllt. Man kann, zumindest für kurze Zeit, so gut wie alles behaupten. Weder Logik noch Anstand begrenzt die Möglichkeit, etwas zu sagen. Es wird als undemokratisch bezeichnet, wenn beklagt wird, jemand verlasse den Bezirk des verständig Sagbaren.“Ja, und heute, aus Anlass der Einwanderungs-Abstimmung im Bundestag, zeichnete Kaube mit dem Soziologen Stichweh fast geduldig die falschen Anschuldigungen gegen die Ampel nach. Weder hätten die Parteien jemals die demokratischen Institutionen der Republik infrage gestellt, noch seien Kanzler und Innenministerin „Mitglied der Werteunion“, niemand spricht von „Umvolkung“ oder von einer ethnisch bzw. kulturell homogenen Bevölkerung. Warum, so Kaube, hört man derartig törichte Aussagen? Offenbar herrscht „völlige Phantasielosigkeit im politischen Streit, die in der Beschimpfung des Gegners nicht nur das nächstgelegen, sondern das gebotene und mitunter sogar das einzige Mittel findet.“ Man könnte aber sogar eine unheimlichere Deutung finden. Vielleicht handelt es sich um Wunschträume ? Noch hat die Psychologie, oder besser die Psychoanalyse den Verdacht nicht erläutert, dass die Sehnsucht nach einer Diktatur womöglich suizidale Motive hat. Nur ein starker Führer kann diesen Todes-Trieb in uns erwecken und ihn – befriedigen.

2025-01-09T15:25:27+00:0001 '24|Gesprächsrundschau|

16. Januar 2023 – Der Sieg in Iowa

Nun ist eingetreten, was alle Demokraten gefürchtet haben: Trump hat die Vorauswahl in Iowa mit 51 Prozent Zustimmung seiner Sekte gewonnen, Niki Haley rückte auf Platz 3, Ron de Santis auf Platz 2. Anders als in der Sprache der Wettbüros, des Pferde- oder Autorennens, kann man eigentlich nicht über die Lage in den (nur schlecht) Vereinigten Staaten berichten. Aber man darf es nicht, die Lage ist zu ernst. Denn dieses Ergebnis strahlt aus in alle westlichen Demokratien, es ermuntert die Neonazis dieser Erde, die vermutlich längst wilde Preise auf dem Antiquitätenmarkt erzielen, mit jeder Reliquie aus der Weimarer Republik oder gar aus dem Ersten Weltkrieg, deren sie habhaft wurden. Und wie werden sie habhaft? Durch Familiengeschichte, durch Eltern, Groß- und Urgroßeltern. Überall wurde erzählt, überall gab es Oral History. Während die letzten 50 Jahre in Deutschland (unter Anleitung angelsächsischer Psychoanalytiker) von Aufarbeitungen der NaziFamilien beherrscht waren, hat sich vor allem in Ostdeutschland der Wind gedreht. Hier gab es ja keine Nazis, und an grausame Russen will man sich nicht wirklich erinnern. Aber warum blüht Familiengeschichte derart weltweit? Eine zentrale soziale Matrix ist unsere westliche Wirtschafts-, genauer: unsere Bildungsgeschichte. Immer mehr Kinder wohnen kostenhalber auch während der Ausbildung weiter zuhause, immer mehr dynastisches Denken greift Platz: Söhne und Töchter sollen die Berufe der Eltern erlernen. Beides verschafft Vorsprung im Wettbewerb, beides bringt überpositiv besetzte Familiengeschichten zustande und fördert ein Denken in ethnischen Kollektiven. Der große Bauernaufstand der letzten Tage hat unsere am meisten gefährdete Dynastie zum Bewußtsein gebracht: die der Bauern. Wollen Frauen noch Bauern heiraten und deren kräftezehrenden Job teilen? Wollen Lehrerinnen in internetlose Dörfer? Nur eine starke Ideologie kann noch helfen: Donald Trump macht es mit seiner Sekte vor, nach Hitlers Vorbild. Entrechtete und ausgebeutete Landbevölkerungen hat er sich – wie schon Marine Le Pen – erkoren und wütende Familien auf die Strasse geschickt, nein: ins Kapitol, die Regierungszentrale.

2024-10-23T13:43:05+00:0001 '24|Gesprächsrundschau|
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