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7. Dezember 2024 – Das Gesicht als Brennpunkt

Buchstäblich vom Brandgeruch bei einem facelifting berichtete vor einer Woche der  SPIEGEL. Eine Mitarbeiterin hatte sich der Tortur unterzogen, natürlich nicht irgendwo oder irgendwie, sondern bei der vielleicht berühmtesten Dermatologin des Landes. „Ich rieche, wie ich verbrenne“, beginnt der Text makaber genug und seltsam platziert im zentralpolitischen Magazin der Republik. Er endet nach einer siebentägigen Schöpfungsgeschichte mit  Wiedergeburt: „ Am siebten Tag ist der Schorf fast abgefallen, die neue Haut darunter ist weich und strahlt“.

Wie lange die Jugendillusion nun wohl vorhält? Egal, Advent, Weihnachten und Silvester wetten jetzt gerade um das schönste Gesicht. Und die Medien wollen es unangenehm politisch. Teils soll Gebärfähigkeit immer weiter simuliert, teils der „Abcheckblick“ der dating industry abgefedert  werden, als gäbe es keine nationalerotischen Diversitäten weltweit. „Weich und strahlend“: Will man einfach nur jünger im festlichen Kerzenlicht erscheinen? Gabriele von Arnim sieht das wohl anders. In einer Kulturzeitsendung erschien sie unlängst fazial unzensiert wie ein bitcoin in einer bislang unbekannten organischen Währung.

Der Vergleich ist reizvoll. Denn wie verhält sich unser Gesichtskonsum zu den technischen Entwicklungen, vor allem zum facedetection Programm der Regierungen?  Die Edelbeilage der FAZ von heute gibt  Ratschläge, auch sie durchaus makaber.  Facelifting bedeutet demnach Arbeit im „deep face“. Obere Schichten werden abgehoben, untere zusammengezogen – nun ja.  „Deep-plane facelift“ heisst die Methode. Aber mit „deep face“ würden wir eher Trumps „Deep state“ oder sogar  „Darknet“ assoziieren. Also mit dem komplementären Begriff zu jenem Gesicht, das heute gnaden- und teilweise mörderisch sinnlos als nackte Oberfläche registriert und verfolgt wird.

Nichts von alldem, was das Gesicht einst in Kunst und Literatur an Bilderfindungen oder Wortstürmen erregt hat, nichts von Ausdruck, Eigenheit, Verzückung und Einladung ins Face-to-Face, in die dialogische Dimension des Begehrens, steht hier noch zur Debatte.  Deep face entscheidet vielmehr über die entzifferbare Codierung des Gesichts, die schon Primaten neuronal erkennen. Alles andere, die Haut, die 42 Muskeln, mit denen wir Ausdruck und Mitteilung erzeugen, bleibt an der, oder vielmehr IST Oberfläche.

2024-12-08T15:16:15+00:0012 '24|Gesichtsrundschau|

2. Dezember 2024 – Das Machtwort

Die tagesaktuellen Rezensionen des MerkelBaumann Buches sind inzwischen erschienen,  Zeitschriften werden folgen, Historiker warten noch auf das ultimative Desaster, für das Merkel vorauseilend verantwortlich gemacht wird.  Nur Navid Kermani, der Philosoph unter den deutschen Autoren, geht in der ZEIT etwas freundlicher auf sie ein, lobt ihre Kindheits- und Jugenderinnerungen und anschaulichen DDR-Lebensverhältnisbeschreibungen. Einmütig schimpft man aber über die spätere  Kanzlerin. Nicht nur die Spaltung der CDU, vor allem die großen Krisen der letzten 20 Jahre scheint sie allein bewirkt und missmanaged zu haben; sie allein hat mit dem sprichwörtlichen Machtwort „Das schaffen wir“ 2015  katastrophischen Unsinn in die Welt gesetzt und befördert. Für ostdeutsche Menschen wurde sie zum Sündenbock.

Der Modus des „Machtwortes“ schien ja hierzulande längst vergessen. „Führerwort ist Gesetzeswort“, hiess es einst bei Carl Schmitt, der inzwischen fast täglich von TikTok UserInnen gelesen wird: nicht buchstäblich, wohl aber im Habitus der Influencer. Interessant auch, dass in der – meist männlichen – Wut auf Merkel verschwindet, was noch vor wenigen Jahren als Krise der Repräsentanz beklagt wurde: Sündenböcke sollen ja gerade repräsentieren, sind ja gerade ein archaisches Werkzeug der Demokratie, das gerade eben in Buchform unversehrt auf die Bühne zurückkehrt. Vielleicht trug diese weibliche Gestalt aus dem Osten es immer schon mit sich? Alle Welt rätselte, wie eine nicht charismatische, nicht rhetorisch begabte, nicht im Sinne Max Webers erratische Figur des öffentlichen Lebens dennoch 16 Jahre Macht über das ganze Land  ausüben konnte. War es ihre Begabung zum Gespräch, zum Kompromiss, zur ausdauernden Schlafverdrängung? Wer weiss. Vielleicht war es auch einfach das Wörtchen „Wir“ von Anfang an.

2024-12-03T11:20:10+00:0012 '24|Gesprächsrundschau|

29. November 2024 – Das verlierbare Gesicht

Vor wenigen Tagen, am 26. November, stellte  Angela Merkel ihre Autobiographie  im Deutschen Theater vor, im Gespräch mit Anne Will, der langjährigen Talkshow Moderatorin des WDR und ebenfalls langjährigen, geradezu auserwählten  Begleiterin von Merkels öffentlicher Laufbahn.  Schon einen Tag zuvor hatten die beiden einander zu einem Dialog getroffen,  im Podcast der Anne Will,sozusagen zu einem Probelauf, und das erwähnte Will nun auch im Theater und fügte hinzu: „Haben Sie eigentlich diesen Podcast schonmal angehört?“ „Nein“ , antwortete Merkel unverzüglich und traf damit die Moderatorin offenbar ins Herz. Sie antwortete kaum hörbar mit dem Satz „Na dann ist ja unser Interview hier schon gelaufen“, wobei sie ihre  langen Haare kurz vors Gesicht schob. Das war also eine Kriegserklärung. Aber es ging erstmal friedlich und freundlich weiter.  Die NZZ hat am 28 . 11. darüber berichtet. Merkel antwortete oft unter Beifall. Aber bald wechselte Anne Will den Ton. Es ging um die strittigen Fragen der politischen Existenz unter der Bundeskanzlerin – dabei will das Buch beide Lebensabschnitte gleichmässig  werten. Der zentrale Satz hiess sinngemäß: Die 35 Jahre Erziehung und Ausbildung in der DDR haben mich für die 35 Jahre politischer Existenz im Westen befähigt . Genau diese Befähigung wollte Anne Will  gnadenlos bezweifeln. Die grossen Krisen, die Flüchtlinge, die Corona Krise, das Erstarken der AfD, das Verhältnis zu Russland: nichts hielt der Beurteilung stand. Ein Thema nach dem andern sollte Gesichtsverlust auf der ganzen Linie bewirken. Dabei blieb das Publikum, oder doch der hörbare Teil, unerschüttert.  „Auch im Rückblick sehen Sie keinen Fehler?“ –  „Nein“: man klatschte.

Gesichtsgewinn, – wahrung und – verlust ist tatsächlich neben allen dramatischen Kriegshandlungen die Währung, in welcher Diplomatie heute  gehandelt wird. Sie entspricht nicht nur der masslosen Gesichtlichkeit der Selbstwahrnehmung, sondern auch der Flutung unserer Kommunikation durch Emojis, also durch vorgestanzte mimische Formeln, deren Existenz nicht etwa mehr Ehrlichkeit, sondern stereotypischere und schnellere , sprich medialere Kommunikation erlauben. Welcher politische Akt Gesichtsgewinn verspräche wird dabei längst auch öffentlich erwogen, nicht etwa im Hinterzimmer. Oder besser: dieses Zimmer liegt immer weiter hinten, ist immer verborgener. Darknet, heisst es im mafiösen Jargon, oder Deep state.  Merkel zog sich schliesslich mit einer gewitzten Replik aus der Affäre.  Wem sei geholfen, wenn sie sich schuldig und reuig erklärte? Und sei das Zugeben von Fehlern (also Gesichtsverlust) an sich schon eine Art Gütesiegel? Den ganzen brodelnden Opferdiskurs zu umgehen war wohl angesichts ihrer Lebensleistung angemessen. Und schob die 35 Jahre in der DDR fast rechtskräftig vor den Vorhang.

2024-11-30T10:14:15+00:0011 '24|Gesichtsrundschau|

27. November 2024 – Stichtag: Angela Merkels Autobiographie

Gestern erschien die lang erwartete Autobiographie von Angela Merkel. Mehr als 700 Seiten, verfasst zusammen mit ihrer langjährigen Vertrauten im Kanzleramt, Beate Baumann.  Jetzt müssen oder dürfen wir alle lesen, jung und alt, Generationen, die mit ihr aufwuchsen und solche, die mit ihr alt wurden.  An sich ein Geschenk, um über sich selber nachzudenken. Also in ein Selbstgespräch zu geraten. Wann wird so etwas schonmal angeboten, für einen Zeitraum von nun fast zwanzig Jahren?

Schon nach wenigen Seiten merkt man, warum es so lang wurde. Für eine Millionenleserschaft wird mit der Lupe gearbeitet, winzige Details, kleine Dialoge, unterbrochen von staatsmännischen und historischen Erwägungen. Wer sonst könnte sich das erlauben? „Dichte Beschreibung“, nannte man das eine Zeitlang, aber es ist eben mehr, weil es mitten in unseren Wahlkampf gerät. Absichtsvoll, kann man annehmen.

2024-12-04T15:16:42+00:0011 '24|Gesprächsrundschau|

24. November 2024 – Von der Unterhaltungsgesellschaft zur Überlebensgemeinschaft

Vor rund einem halben Jahr notierte ich hier den markanten Satz des deutschen Verteidigungsministers Pistorius, die deutsche Gesellschaft müsse „kriegstüchtig“ werden. Es ging  um die Wehrpflicht und die Ertüchtigung der Armee. Zu viele Waffen hat man offenbar an die Ukraine vergeben, zu wenig im eigenen Land modernisiert.  Obgleich angeblich eine Mehrheit der Deutschen Frieden wünscht (wie Frau Wagenknecht),  ist seit März 2024   – also seit dem AUdas Ansehen des Verteidigungsministers kontinuierlich gestiegen,  bis  hin zur Kanzleroption.  Davon distanzierte er sich nun vergangenes Wochenende offiziell. Was aber nichts heisst.  Denn inzwischen sind Initiativen aller Art unterwegs zur deutschen Kriegstüchtigkeit:  Kurse in Schulen trainieren das Überleben, am heutigen Sonntag predigte  in der Gemeinde Grunewald zum ersten Mal wohl ein Militärseelsorger „mit seinem Team“; die angesehene Literaturagentin Karin Graf hat zur Vorweihnachtszeit in der Berliner Gedächtniskirche  eine literarische Reihe eröffnet. Besinnliches wird man dort erfahren, letzte Dinge werden zur Sprache kommen, denn zum Krieg gehört der Tod, und der Tod gehört in allen Kulturen zur Religion.

Beides: Krieg und Religion haben eigene Dialogiken. Der christliche Dialog entfaltet sich zwischen Gemeinde und Priester, mit Lektüre, Predigt, Beichte, Segen und Liturgie. Ausser dem Kirchenjahr ist nicht alles traditionell: Organisten können moderne Musik spielen, Pfarrer können politisieren, Kirchenleitungen und Gemeinden können aufbegehren. Ausser in orthodoxen Verhältnissen. Die russische Kirche wurde zum Büttel einer Diktatur. Amerikanische Evangelikale dienen einem Trump. Wie wird sich die europäische Kirche „kriegstüchtig“ machen?

2024-11-26T11:24:01+00:0011 '24|Gesprächsrundschau|
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