Gesprächsrundschau

2. Dezember 2024 – Das Machtwort

Die tagesaktuellen Rezensionen des MerkelBaumann Buches sind inzwischen erschienen,  Zeitschriften werden folgen, Historiker warten noch auf das ultimative Desaster, für das Merkel vorauseilend verantwortlich gemacht wird.  Nur Navid Kermani, der Philosoph unter den deutschen Autoren, geht in der ZEIT etwas freundlicher auf sie ein, lobt ihre Kindheits- und Jugenderinnerungen und anschaulichen DDR-Lebensverhältnisbeschreibungen. Einmütig schimpft man aber über die spätere  Kanzlerin. Nicht nur die Spaltung der CDU, vor allem die großen Krisen der letzten 20 Jahre scheint sie allein bewirkt und missmanaged zu haben; sie allein hat mit dem sprichwörtlichen Machtwort „Das schaffen wir“ 2015  katastrophischen Unsinn in die Welt gesetzt und befördert. Für ostdeutsche Menschen wurde sie zum Sündenbock.

Der Modus des „Machtwortes“ schien ja hierzulande längst vergessen. „Führerwort ist Gesetzeswort“, hiess es einst bei Carl Schmitt, der inzwischen fast täglich von TikTok UserInnen gelesen wird: nicht buchstäblich, wohl aber im Habitus der Influencer. Interessant auch, dass in der – meist männlichen – Wut auf Merkel verschwindet, was noch vor wenigen Jahren als Krise der Repräsentanz beklagt wurde: Sündenböcke sollen ja gerade repräsentieren, sind ja gerade ein archaisches Werkzeug der Demokratie, das gerade eben in Buchform unversehrt auf die Bühne zurückkehrt. Vielleicht trug diese weibliche Gestalt aus dem Osten es immer schon mit sich? Alle Welt rätselte, wie eine nicht charismatische, nicht rhetorisch begabte, nicht im Sinne Max Webers erratische Figur des öffentlichen Lebens dennoch 16 Jahre Macht über das ganze Land  ausüben konnte. War es ihre Begabung zum Gespräch, zum Kompromiss, zur ausdauernden Schlafverdrängung? Wer weiss. Vielleicht war es auch einfach das Wörtchen „Wir“ von Anfang an.

2024-12-03T11:20:10+00:0012 '24|Gesprächsrundschau|

27. November 2024 – Stichtag: Angela Merkels Autobiographie

Gestern erschien die lang erwartete Autobiographie von Angela Merkel. Mehr als 700 Seiten, verfasst zusammen mit ihrer langjährigen Vertrauten im Kanzleramt, Beate Baumann.  Jetzt müssen oder dürfen wir alle lesen, jung und alt, Generationen, die mit ihr aufwuchsen und solche, die mit ihr alt wurden.  An sich ein Geschenk, um über sich selber nachzudenken. Also in ein Selbstgespräch zu geraten. Wann wird so etwas schonmal angeboten, für einen Zeitraum von nun fast zwanzig Jahren?

Schon nach wenigen Seiten merkt man, warum es so lang wurde. Für eine Millionenleserschaft wird mit der Lupe gearbeitet, winzige Details, kleine Dialoge, unterbrochen von staatsmännischen und historischen Erwägungen. Wer sonst könnte sich das erlauben? „Dichte Beschreibung“, nannte man das eine Zeitlang, aber es ist eben mehr, weil es mitten in unseren Wahlkampf gerät. Absichtsvoll, kann man annehmen.

2024-12-04T15:16:42+00:0011 '24|Gesprächsrundschau|

24. November 2024 – Von der Unterhaltungsgesellschaft zur Überlebensgemeinschaft

Vor rund einem halben Jahr notierte ich hier den markanten Satz des deutschen Verteidigungsministers Pistorius, die deutsche Gesellschaft müsse „kriegstüchtig“ werden. Es ging  um die Wehrpflicht und die Ertüchtigung der Armee. Zu viele Waffen hat man offenbar an die Ukraine vergeben, zu wenig im eigenen Land modernisiert.  Obgleich angeblich eine Mehrheit der Deutschen Frieden wünscht (wie Frau Wagenknecht),  ist seit März 2024   – also seit dem AUdas Ansehen des Verteidigungsministers kontinuierlich gestiegen,  bis  hin zur Kanzleroption.  Davon distanzierte er sich nun vergangenes Wochenende offiziell. Was aber nichts heisst.  Denn inzwischen sind Initiativen aller Art unterwegs zur deutschen Kriegstüchtigkeit:  Kurse in Schulen trainieren das Überleben, am heutigen Sonntag predigte  in der Gemeinde Grunewald zum ersten Mal wohl ein Militärseelsorger „mit seinem Team“; die angesehene Literaturagentin Karin Graf hat zur Vorweihnachtszeit in der Berliner Gedächtniskirche  eine literarische Reihe eröffnet. Besinnliches wird man dort erfahren, letzte Dinge werden zur Sprache kommen, denn zum Krieg gehört der Tod, und der Tod gehört in allen Kulturen zur Religion.

Beides: Krieg und Religion haben eigene Dialogiken. Der christliche Dialog entfaltet sich zwischen Gemeinde und Priester, mit Lektüre, Predigt, Beichte, Segen und Liturgie. Ausser dem Kirchenjahr ist nicht alles traditionell: Organisten können moderne Musik spielen, Pfarrer können politisieren, Kirchenleitungen und Gemeinden können aufbegehren. Ausser in orthodoxen Verhältnissen. Die russische Kirche wurde zum Büttel einer Diktatur. Amerikanische Evangelikale dienen einem Trump. Wie wird sich die europäische Kirche „kriegstüchtig“ machen?

2024-11-26T11:24:01+00:0011 '24|Gesprächsrundschau|

20. März 2024 – Kriegstüchtig werden

Sollen die Deutschen, sagt seit geraumer Zeit der deutsche Verteidigungsminister Pistorius, und meint damit einerseits die Aufrüstung der Bundesrepublik nach den Massgaben der USA – also das Erreichen der ZweiProzentHürde, die allen NATO Partnern vorgegeben sein soll -, andererseits die Reaktion auf das maßlose Geschehen zwischen Russland und der Ukraine. Immer näher rückt ja die argumentative Situation, wonach Russland auf NATO – Angriffe reagieren könnte, und zwar atomar. Der gegenwärtige Streit um eine Waffe für das ukrainische Militär namens Taurus balanciert dabei auf einem Hochseil. Während Kanzler Scholz kategorisch die Lieferung ablehnt, ereifern sich Mitglieder des Bundestages über das Gegenteil, unter Gefahr von Durchstechereien. Man diskutiert, wie diese Waffe kriegstüchtig sein könnte, um russische Positionen und Objekte zu zerstören, wer diese Fertigkeit an Ukrainer weitergeben kann und ob nicht die BRD darunter leidet. Genaugenommen hätte Präsident Putin sagen können, dass der NATOfall vorliege, etwa weil Staaten wie Schweden und Finnland ihre Neutralität für die Mitgliedschaft aufgeben und vieles andere mehr. Wie man sieht, ist die Gebetsmühle „Wandel durch Handel“ inzwischen völlig sinnleer. „Wandel durch Nicht-Handel“wird mittels Sanktionen betrieben und zielt auf den ökonomischen Zusammenbruch des Gegners. Man hat nicht mit Putins Raffinesse, mit der russischen Indolenz und Ausdauer gerechnet, auch nicht mit den vielfachen Kooperationen auf der internationalen Bühne. Also mit China, mit Indien, mit vielen antiwestlichen Staaten. Einen Tag nach der Ermordung des aufsässigen Befehlshabers der Wagner Truppe, Prigoschin, fand eine Sitzung der Briks-Staaten statt, mit sechs neuen Mitgliedern. Alle zusammen bildeten eine Mehrheit der heutigenMenschheit ab. Und seit vorgestern ist Putin erneut Präsident des russischen Reiches. Wie können unter dieser Voraussetzung die Europa-Wahlen am 9. Juni verlaufen?

2024-11-26T11:33:16+00:0003 '24|Gesprächsrundschau|

31. Januar 2024 – Vom Streit zum Streik

Wer die aufgeregten Debatten der französischen Philosophen aus den letzten Jahrzehnten in Erinnerung ruft, wird nicht nur Francois Lyotard entdecken, mit seiner Idee des grundsätzlich agonalen Charakters von Dialogen, sondern auch die belgische Politologin Chantal Mouffe, auf dem Ross des deutschen Streitphilosophen Carl Schmitt. Für einen linken Populismus warb sie schon vor zehn Jahren, und für eine unversöhnliche Freund-Feind Gesinnung. In Frankreich haben wir das alles erlebt, die Gelbwesten und andere brutale Streiks ohne Rücksicht auf Verluste. Franzosen, lernt man, wollen immer wieder Revolution spielen: was aus dieser wurde, ist offenbar gleichgültig. Macron hat sich wacker gehalten, auch jetzt, inmitten der wieder gnadenlosen Bauernaufstände, die unsere eigenen hierzulande noch übertreffen. Morgen wird er in Brüssel erwartet. Frau Wagenknecht hat sich die Richtung zueigen gemacht, und die aufstürmenden Demonstrationen der deutschen Bevölkerung / Linken in den letzten Tagen bekräftigen sie. Niemand hätte gedacht, dass die muffigen deutschen Nichtwähler und Meinungsfreaks aus den Häusern kommen und sich hier engagieren. Aber offenkundig sollen diese Hunderttausende von Demonstranten gegen die AfD auch die schwache Repräsentanz der Linken im Bundestag kompensieren, also eigentlich gerade nicht Wagenknecht helfen. Was sagt sie dazu? Man fragt sich, ob hier Vorspiele zum Bürgerkrieg aufgeführt werden. Jedenfalls hält die Lunte dazu gerade der bodenlos freche Coup der AfD, ein Treffen im Herzen Preussens, unweit von Potsdam, in einem Adlon Hotel zu organisieren, in dem nichts weniger als Adolf Eichmanns Madagaskarplan vorgestellt wurde: Austreibung der Juden, hiess es 1937ff, wäre auch fast 1940 von Hitler umgesetzt worden, hätten die Briten damals nicht die Region beherrscht. So also ist die Empörung von heute auch ein markerschütterndes Echo auf damals: wenn auch im Kontrast zu den jetzigen Turbulenzen des Bürgerkriegs zwischen Hamas und Israel. Kann Populismus – also massentaugliches Manövrieren – in so einer Lage helfen? Oder geht es um Sturz unseres farblosen Königs, pünktlich zu den Europawahlen im Juni?

2024-10-23T13:41:52+00:0001 '24|Gesprächsrundschau|

19. Januar 2023 – Im Augiusstall der Diskurse

Man muss sie wirklich einmal würdigen: die Anstrengungen des FAZ Herausgebers JürgenKaube, Sinn und Verstand in den öffentlichen Diskurs zu bringen. „Verwildert“ sei er, hiess es vor drei Tagen, “ der Schall ist schneller als das Licht. Minimale Erwartungen an Argumente werden nicht erfüllt. Man kann, zumindest für kurze Zeit, so gut wie alles behaupten. Weder Logik noch Anstand begrenzt die Möglichkeit, etwas zu sagen. Es wird als undemokratisch bezeichnet, wenn beklagt wird, jemand verlasse den Bezirk des verständig Sagbaren.“Ja, und heute, aus Anlass der Einwanderungs-Abstimmung im Bundestag, zeichnete Kaube mit dem Soziologen Stichweh fast geduldig die falschen Anschuldigungen gegen die Ampel nach. Weder hätten die Parteien jemals die demokratischen Institutionen der Republik infrage gestellt, noch seien Kanzler und Innenministerin „Mitglied der Werteunion“, niemand spricht von „Umvolkung“ oder von einer ethnisch bzw. kulturell homogenen Bevölkerung. Warum, so Kaube, hört man derartig törichte Aussagen? Offenbar herrscht „völlige Phantasielosigkeit im politischen Streit, die in der Beschimpfung des Gegners nicht nur das nächstgelegen, sondern das gebotene und mitunter sogar das einzige Mittel findet.“ Man könnte aber sogar eine unheimlichere Deutung finden. Vielleicht handelt es sich um Wunschträume ? Noch hat die Psychologie, oder besser die Psychoanalyse den Verdacht nicht erläutert, dass die Sehnsucht nach einer Diktatur womöglich suizidale Motive hat. Nur ein starker Führer kann diesen Todes-Trieb in uns erwecken und ihn – befriedigen.

2024-10-23T13:40:46+00:0001 '24|Gesprächsrundschau|

16. Januar 2023 – Der Sieg in Iowa

Nun ist eingetreten, was alle Demokraten gefürchtet haben: Trump hat die Vorauswahl in Iowa mit 51 Prozent Zustimmung seiner Sekte gewonnen, Niki Haley rückte auf Platz 3, Ron de Santis auf Platz 2. Anders als in der Sprache der Wettbüros, des Pferde- oder Autorennens, kann man eigentlich nicht über die Lage in den (nur schlecht) Vereinigten Staaten berichten. Aber man darf es nicht, die Lage ist zu ernst. Denn dieses Ergebnis strahlt aus in alle westlichen Demokratien, es ermuntert die Neonazis dieser Erde, die vermutlich längst wilde Preise auf dem Antiquitätenmarkt erzielen, mit jeder Reliquie aus der Weimarer Republik oder gar aus dem Ersten Weltkrieg, deren sie habhaft wurden. Und wie werden sie habhaft? Durch Familiengeschichte, durch Eltern, Groß- und Urgroßeltern. Überall wurde erzählt, überall gab es Oral History. Während die letzten 50 Jahre in Deutschland (unter Anleitung angelsächsischer Psychoanalytiker) von Aufarbeitungen der NaziFamilien beherrscht waren, hat sich vor allem in Ostdeutschland der Wind gedreht. Hier gab es ja keine Nazis, und an grausame Russen will man sich nicht wirklich erinnern. Aber warum blüht Familiengeschichte derart weltweit? Eine zentrale soziale Matrix ist unsere westliche Wirtschafts-, genauer: unsere Bildungsgeschichte. Immer mehr Kinder wohnen kostenhalber auch während der Ausbildung weiter zuhause, immer mehr dynastisches Denken greift Platz: Söhne und Töchter sollen die Berufe der Eltern erlernen. Beides verschafft Vorsprung im Wettbewerb, beides bringt überpositiv besetzte Familiengeschichten zustande und fördert ein Denken in ethnischen Kollektiven. Der große Bauernaufstand der letzten Tage hat unsere am meisten gefährdete Dynastie zum Bewußtsein gebracht: die der Bauern. Wollen Frauen noch Bauern heiraten und deren kräftezehrenden Job teilen? Wollen Lehrerinnen in internetlose Dörfer? Nur eine starke Ideologie kann noch helfen: Donald Trump macht es mit seiner Sekte vor, nach Hitlers Vorbild. Entrechtete und ausgebeutete Landbevölkerungen hat er sich – wie schon Marine Le Pen – erkoren und wütende Familien auf die Strasse geschickt, nein: ins Kapitol, die Regierungszentrale.

2024-10-23T13:43:05+00:0001 '24|Gesprächsrundschau|

6. Januar 2024 – Der Sturm auf das Kapitol

Heute jährt sich der unerhörte Sturm auf das amerikanische Kapitol in Washington zum drittenmal. Offenbar wird er von der TrumpSekte nicht gefeiert, und angesichts der 800 schon verurteilten Teilnehmer und der 80 noch ausstehenden Prozesse ist die Zurückhaltung auch verständlich. Aber was wissen wir über die heimlichen Triumphgebärden. Öffentlich steht der Sturm aber dennoch im Mittelpunkt, wegen der beiden Verbote einer Trump Kandidatur in diesem Jahr in Maine und Colorado. Der Supreme Court soll nun darüber entscheiden. Die NZZ (schon immer nah am Russenfreund DT) referiert heute Trumps Chancen und sieht Licht am Ende des Tunnels. Gesetzeslücken werden genutzt werden, die Mehrzahl der Richter wurde ohnehin vom ExPräsidenten selbst eingesetzt, und sie wird sich erkenntlich zeigen. Oder eine windelweiches Jein anbieten, mit Rückverweisung der Frage an das Parlament. Wüßte man in den USA, dass dieser Sturm letztes Jahr ein blankes Imitat der europäischen Märsche war (Mussolinis Marsch auf Rom 1921; Hitlers Marsch auf die Feldherrenhalle 1923) , wüsste man, dass die berühmte „Dolchstosslegende“ des Ersten Weltkrieges als Vorlage für das Wahlbetrugsgezeter gelten muss, man würde vielleicht anders darüber reden und denken. Man würde auch die unlängst veröffentlichten Projekte des Mr. Trump nach einem Wahlsieg (Destruktion der Verfassung, Sorge um reines amerikanisches Blut, etc.) ernster nehmen und alles zusammen als aktionistisches Plagiat von Hitlers „Kampf“ begreifen. „It Can’t Happen Here“ hiess das ahnungsvolle Buch von Sinclair Lewis aus dem Jahr 1935 , geschrieben Jahre, bevor das volle Ausmass der faschistischen Angriffe auf die Demokratie bekannt wurde. Die Hellsichtigkeit dieses Buches ist inzwischen Thema vieler Analysen – aber sie reichen nicht in die OpinionSeiten der großen Zeitungen, geschweige denn in die juristischen Plädoyers. Warum wohl? Trumps Avancen an die jüdische Welt, der Umzug der US Botschaft nach Jerusalem, die Anleitungen zur Versöhnung mit arabischen Nachbarn, der jüdische Schwiegersohn, all das mag die NS Plagiate vernebelt haben, und trotzdem müssten sie bitterernst genommen werden.

2024-10-23T13:44:26+00:0001 '24|Gesprächsrundschau|

26. Dezember 2023 – Blick in den Abgrund

Heiligabend ist vorüber, gottlob ohne dramatische Attentate, es sei denn, man hält die fortdauernden Kriegshandlungen in der Ukraine und im Nahen Osten für solche. Hierzulande schwelt immer weiter der Streit zwischen pro- und antiisraelischen Stimmen. Das gegenwärtige Patt könnte sich zu Silvester dramatisieren, sollten aus Böllern propalästinensische Waffen werden und Menschen verletzen oder gar töten. Aber vielleicht rechtzeitig erschien im Oktober ein Buch vom Grand Seigneur der Holocaust Forschung: dem greisen Saul Friedländer, „Blick in den Abgrund“ heisst sein Tagebuch des Jahres 2023, veröffentlicht im Verlag C.H.Beck und bereits in der dritten Auflage. Dass es einen dringenden Bedarf nach genaueren Auskünften über das gegenwärtige Innenleben Israels gibt, steht ausser Frage. Dass der Autor aus dem israelischen deep state stammen und dessen Autorität besitzen muss, ebenfalls. Was lesen wir hier? Die Langzeitbeobachtung der Person Netanjahu. Schon 1998 hat man ihn als treibende Kraft hinter den aufsteigenden orientalischorthodoxen Communities erkannt, die diesen Ministerpräsidenten mit säkularen Rechtsvorstellungen verschonen würden, wenn er sie nur zur Macht brächte. Und das hat er in der Tat betrieben und erreicht. Friedländer weiss es, kann es beurteilen und beurteilt es auch. Wochenlange Demonstrationen zwischen Jerusalem und Tel Aviv, monatelange Dissense über die Rolle des Obersten Gerichts und dessen erwünschte Entmachtung durch messianische Siedler. Die dramatische Konsequenz: der Zerfall der israelischen Gesellschaft in West und Ost, wie er sich gerade eben vor unser aller Augen abspielt. Ein weltpolitischer Abgrund, angesichts von Hisbollah,von iranischen Todesdrohungen und einer wachsenden Zahl von Kriegsschauplätzen mit Trittbrettfahrern, die angeblich Palästina zu Hilfe eilen. Alle ideologischen Diskurse über deutsche Schuld, Schoa, Zionismus und Chassidismus verblassen vor der akuten Präsenz dieser Kriegslage. Wer finanziert hier wen und warum. Kein westlicher Politiker mit Verantwortung ist jetzt zu beneiden. Oder eben doch: denn sie allein könnten das Recht des Stärkeren vor den Kadi ziehen, um die Stärke des (Völker)Rechts durchzusetzen.

2024-10-23T13:45:31+00:0012 '23|Gesprächsrundschau|

14. Dezember 2023 – Dialog als Scheitern: Die Konferenz

Seit Wochen bewegen sich die Politiker weltweit von Konferenz zu Konferenz: sei es in Sachen Klimaschutz, oder europäischen Digitalstandards oder europäischem Einfluss auf die Moral der künstlichen Intelligenz oder UNO Einfluss auf die Tragödie in Israel. Schon hat Premier Netanjahu die Welt wissen lassen, dass ihm oder seinem Land gleichgültig sei, was andere von ihm denken, wenn er die Hamasfrage endgültig löst, durch das Fluten der Tunnel. Hamaskämpfer als Ratten im Untergrund. Vielfach störend bei allen Meetings sind rechtliche Vorgaben wie etwa die Einstimmigkeit – bei UNO, EU, in der NATO: das Paradox, dass auch Einstimmigkeit nur einstimmig abgeschafft werden könnte, wurde bis jetzt nicht entzerrt. Gerade heute versucht man in Brüssel, den störrischen Präsidenten Victor Orban auf Kurs zu bringen – aber er will eben umgekehrt die EU putinisieren. Werbewirksam kündigt Putin zum Jahresende seine erneute Kandidatur an, plus Fortsetzung der >Spezialoperation< gegen die Ukraine, die angeblich Nazitum verkörpert, aber eigentlich schwach und schwächer wird. Der antike Dialog der Melier steht wieder am Horizont. Und hierzulande? Die Wahlen 2024 in Ostdeutschland zeigen mit AfDStimmen plus Sahra Wagenknecht in Richtung einer absoluten Mehrheit. Mehrheit wofür? Für das Ende der Russland Sanktionen, das Ende der Waffenlieferungen an Kyiew, das Ende des liberalen, demokratischen Projekts , möglichst auch in Brüssel. Über allem steht das böse Genie der Vereinigten Staaten: Mister Trump. Welche Funktion hat in diesem Narrativ das Chatbot GPT?

2024-10-23T13:46:24+00:0012 '23|Gesprächsrundschau|
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