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3. Juni 2022 – Das Pfingstfest in Kiew

Nein, der letzte Eintrag vom 21. Mai irrte. Präsident Selenskyi zeigt keine Ermüdung. Nach wie vor will er alle Gebiete zurückerobern, die Putin offenbar inzwischen gewonnen hat, angeblich rund 20 Prozent des ukrainischen Territoriums. Nach wie vor verlangt man eilig schwere Waffen aus Deutschland und glaubt Kanzler Scholz keine Absichtserklärung. Man tritt auf der Stelle – wie lange soll der Krieg dauern? Welche Ressourcen besitzt der Zar? Immer wieder wird die Zustimmung von etwa 71% der Russen zu diesem Krieg gegen ukrainische „Nazis“ zitiert; gleichzeitig verdammt die Gegenseite die russischen Nazis. Wäre nicht alles so bitterernst und blutig, man könnte sich diesen Streit, „wer ist der richtige Nazi unter Nichtdeutschen“, als Satire vorstellen. Man könnte beinah an Ernst Nolte erinnern, den ersten maßgeblichen deutschen Historiker des Faschismus, den ersten, der Kommunismus und Nazismus als zwei Seiten einer Medaille bezeichnete. Und leider nach dem erbitterten Historikerstreit unter Joachim Fest am rechten Rand verschwand. Was wird uns Pfingsten bringen?

2024-10-23T14:19:45+00:0006 '22|Gesprächsrundschau|

21.Mai 2022 – Sich ergeben – Körpersprache des Krieges

Nun also gab es den ersten Akt einer Kapitulation: die Soldaten aus dem Stahlwerk von Mariupol haben sich ergeben, auf Anweisung aus Kiew. Hinter den Kulissen tauchen Waffenstillstands-, wenn nicht Friedenspläne auf, aus Italien an die Vereinten Nationen. Auch Selenskyi spricht offenbar von einer notwendig diplomatischen Lösung. Die Stimmen derer, die mit Armin Nassehi argumentieren und Verlautbarungen an Realitäten messen, werden deutlicher. Wieviel Blut ist geflossen, wieviel Lebenswelt zerstört, wieviel Gelände verloren und wieviel Nahrung weltweit verhindert und vernichtet. Wozu? Die Körpergeste des SichErgebens: tragisch demonstriert in uralter Formation. Der Weg ins Lager, in langen Schlangen erschöpfter Männer. Zuletzt hatten auch ukrainische Frauen um ein Ende des Krieges gebeten. Man kann nur hoffen, dass die Verlängerung des Kriegsrechtes um drei Monate durch den ukrainischen Präsidenten nicht umgekehrt als Ausrufung eines von Putin so peinlich vermiedenen Begriffs verstanden wird. Probleme lösen, indem man noch größere schafft – wessen Vernunft arbeitet so?

2024-10-23T14:20:18+00:0005 '22|Gesprächsrundschau|

18. Mai 2022 – Krieg und Frieden im Offenen Brief

Zu dieser Fragestellung bringt die FAZ von heute eine sehr aufschlussreiche Glosse von Armin Nassehi, Soziologe und Kursbuch-Herausgeber aus München. Sein Blick auf die „Offenen Briefe“ der letzten Wochen gilt der „Debattenkonstellation selbst“, nicht den sattsam bekannten Fragen nach schweren (Kriegs-) oder leichten (Diplomatie-) Waffen. Die meinungsstarken Teilnehmer der öffentlichen Diskussion, sagt Nassehi, benehmen sich gerade wie ein „Schlachtenlenker“, der „die Parteien wie Zinnsoldaten verschiebt, damit der eine mit Gesichtswahrung und der andere mit einer Zukunftsaussicht auf die Lösung >kniffliger Fragen< herauskommen wird.“ Also eigentlich wie Romanciers. Tolstoi hat sich bekanntlich zum Ärger vieler LeserInnen tief in die damalige Militärstrategie von Franzosen und Russen eingearbeitet, aber das spätere, meist weibliche Publikum wollte nichts darüber lesen. Nein, sagt Nassehi, wirklich beurteilen kann man die gegenwärtige Lage nur „in der Echtzeit jener Handlungen und Kommunikationen, die konkret aufeinander Bezug nehmen„: also als dialogische Abfolge, gemessen an den jeweiligen „Ressourcen, Interessen und Möglichkeiten der konfligierenden Parteien.“ Klingt kompliziert – und ist es auch. Denn Nassehi erspart sich (jedenfalls hier) die grausame Tatsache, dass diese Kommunikationen in und mit vielfachen Instanzen spielen und keinem Beobachter wirklich gesamthaft zugänglich sind. Auktorial, wie die Literaturwissenschaft das nennt, kann wirklich nur der Dichter vorgehen. Kommuniziert wird aber politisch, medial und memorial. Also unter lebendigen Menschen, sei’s als Soldat oder als Diplomat oder als ziviles Opfer; also medial unter sprechenden oder schreibenden oder bildgebenden Erzeugern und Teilnehmern von Öffentlichkeit; und schliesslich memorial durch die existierenden und mitwirkenden Institutionen, also durch Kirche, Kultur und Wissenschaft. Alle drei Instanzen haben zugleich eine regionale und eine weltweite Dimension. Kein politisch Verantwortlicher ist heute in dieser Gemengelage zu beneiden; manchen aber fliegt plötzlich eine Schlüsselstellung zu, wie jenem russischen General, der unlängst vom Ende der russischen Armee sprach. Gibt es diesen Mann noch?

2024-10-23T14:21:09+00:0005 '22|Gesprächsrundschau|

12. Mai 2022 – Die Öffentlichkeit schreibt sich Briefe

Wäre es nicht so bitter, man könnte den Schwall „Offener Briefe“ in unserer Gesellschaft hochinteressant finden. Alle schreiben wie wohlerzogene SchülerInnen an den Bundeskanzler. Die einen verlangen von ihm schwerste Waffen für die Ukraine, die andern wollen genau das verhindern. Wer hat recht? Auch die anderen europäischen und westlichen Länder sind uneins, viele denken wie Olaf Scholz bis vor ein paar Tagen: man muss die NATO berücksichtigen, man muss einen atomaren Erstschlag aus Russland fürchten, es könnte zu einem 3. Weltkrieg kommen. Die andern meinen, Putin könne nur durch massive militärische Aktivität zur Raison gebracht werden, mindestens die Verhandlungsbasis für die Ukrainer unter Präsident Selenskyi müsse derart verbessert werden.

Die Ukraine steckt aber selber in einem – bisher – unlösbaren Dilemma. Russisch erzogen sind die meisten älteren von ihnen, und damit eher orthodox. Die demokratische Wende, energisch seit 2014 betrieben, führt sie aber in eine säkulare demokratische Verfassung und Verfasstheit. Nun verlangt die Geschichte plötzlich unerhörten Opfermut von ihnen – als wären Demokratie und Menschenopfer nicht unvereinbar. So unvereinbar wie Demokratie und Krieg. Vereinbar sind Demokratie und Handel, Kriegführung durch Sanktionen steht auf der Waffenliste. Hat das Aufkommen autokratischer Regierungen etwas mit wachsendem Kriegswillen zu tun? Befeuert die Klimakrise den Sinn für Überlebenskämpfe, ergo auch Kriege? Der Appell an den Westen, wonach die tapferen Menschen genau für diesen Westen ihr Leben lassen, ist tragisch, gerade weil dieser Westen unkriegerisch konzipiert wurde.

2024-10-23T14:21:54+00:0005 '22|Gesprächsrundschau|

30. April 2022 – Jürgen Habermas, Vater der „Kommunikativen Vernunft“

Zehn Tage Ukrainekrieg sind seit dem letzten Eintrag vergangen, mit unablässigen militärischen Handlungen, mit Opfern an Leib und Leben, mit Fluchtschicksalen, mit diplomatischer und medialer Hochrüstung. Kanzler Scholz hat die deutsche Zurückhaltung im Waffengeschäft – ein Programmpunkt der Grünen – so lange wie möglich verteidigt, letzte Woche ist er dann überstimmt worden. Nachdem nicht nur die beiden Ampelpartner, sondern auch die Opposition aus CDU/CSU für das Liefern von sogenannten schweren Waffen plädiert haben. Könnte man an die politische Einmut aller Parteien von 1914 erinnern, an das gemeinsame Ja zu Kriegskrediten? Schreckliche Vorstellung einer fehlenden Opposition gerade in so einer Situation.

Aber nun meldet sich immerhin eine ganze Reihe von Meinungsbildnern, die diese Rolle medial übernehmen, am eindruckvollsten wohl Jürgen Habermas in der SZ vom 29. April. Auf zwei ganzen Seiten breitet er die Einwände und Bedenken aus, die fast niemandem fremd sein können: kann man die Atomdrohung von Präsident Putin beiseite wischen, als Ausgeburt eines Wahnsinnigen? Kann man die Opferzahl nicht nur an Toten und Verletzten, sondern auch an Flüchtenden und Fürsorgenden durch Kriegshandlungen beliebig steigern, und sei es im Namen von Aufklärung und Humanität, unserem europäischen Ideenparadies? Kann man politische Einrichtungen wie etwa den Internationalen Strafgerichtshof für funktionstüchtig erklären, wenn Großmächte sie nicht anerkennen?

Habermas sieht hier überall rote Linien. Ihn irritiert „die Selbstgewissheit, mit der in Deutschland die moralisch entrüsteten Ankläger gegen eine reflektiert und zurückhaltend verfahrene Bundesregierung auftreten“. Gemeint ist hier vor allem Anna Lena Baerbock, die eine Wende der Grünen zur Kriegspartei ermöglicht zu haben scheint. Habermas schreibt: „Ich sehe keine überzeugende Rechtfertigung für die Forderung nach einer Politik, die – im peinigenden, immer unerträglicher werdenden Anblick der täglich qualvolleren Opfer – den gleichwohl gut begründeten Entschluss der Nichtbeteiligung an diesem Krieg de facto aufs Spiel setzt.“

Er hätte vielleicht auf die Bedeutung der riskanten Operation (schwere Waffen) für die Regierung Joe Biden verweisen können. Kein Thema kann in Washington derzeit so viel Einmut unter den streitenden Parteien erzeugen wie ein veritabler, physisch anzugehender Feind – besonders der russische. Im November will Biden wiedergewählt werden – bis dahin kann er sowohl mit der Waffenlobby als auch mit den human gesinnten Demokraten „Gutes tun“. Wenigstens muss er hier keine Massenvernichtungsmittel erfinden wie einst George Bush im Irak. Und er muss keine Soldaten opfern wie einst seine Vorgänger in Vietnam.

2024-10-23T14:22:57+00:0004 '22|Gesprächsrundschau|

20. April 2022 – Grand Canyon des Dialogischen

Dieses Gelände haben wir offenbar gerade erreicht. Über das grausame Sterben des demokratisch herrschenden, staatsbürgerlichen Dialogs wird von Publizisten und Professoren nachgedacht, von Politikern inszeniert, von Künstlern nachgespielt, vom Publikum gruselfreudig betrachtet. Putin setzt soeben der Ukraine ein Ultimatum: Tod oder Ergebung in Mariupol. Der ukrainische Botschafter in Berlin verlangt ultimativ Waffen vom deutschen Kanzler. Boris Johnson will seine Abwahl durch Entschuldigungen verhindern. Elon Musk will den Kommunikationskanal Twitter kaufen, mit dem Trump seine Wahl 2016 gewann. Peter Thiel vom Silicon Valley will diesem zur Wiederwahl verhelfen zwecks Abschaffung der Demokratie. Heute abend will Marine Le Pen mit Emmanuel Macron ins entscheidende Fernsehduell treten. Sollte sie gewinnen – was viele für möglich halten – will sie die Verfassung ändern und populistische Referenden anstelle von Wahlen setzen. Alles steht zur Disposition.

2024-10-23T14:23:29+00:0004 '22|Gesprächsrundschau|

13. April 2021 – Kampfmethoden statt Dialogformate

Bedrückend genau führen uns die Kriegshandlungen der letzten Wochen das Waffenarsenal der Gegenwart vor: ausser mit traditionellen Menschenkörpern und Maschinen, kämpft man um Hoheit, vulgo Sieg, durch digitale, informationelle, chemische , atomare und raumfahrtliche Manöver. Die ganze technoide Palette unserer gegenwärtigen Existenz schrumpft auf Kriegsgebrauch – während die eigentliche Herausforderung, der Klimawandel, im Pulverdampf verschwindet. Antirussische Sanktionen verhindern im selben Atemzug Vorsorgen gegen die Aufheizung der Atmosphäre, das Auftauen der Permagebiete, die Auslöschung der Arten, usw. Kann es sein, dass Moskau genau damit rechnet? Und damit zum Fürsprecher aller Autokraten wird?

2024-10-23T14:24:03+00:0004 '22|Gesprächsrundschau|

10. April 2022 – Waffen wollen reden, nicht schweigen

Seit Tagen und Wochen rufen die Ukraine und ihre westlichen Freunde nach Waffen. Sanktionen bringen nichts, weil das russische Volk ausserordentlich belastbar zu sein scheint. Seine Geschichte kennt zahllose Beispiele diktatorischer Oppression, Entbehrungen, Menschenopfer aller Art. Das ukrainische Brudervolk der Russen lebt es nun aber vor. Es lässt sich verwunden, vertreiben, töten, um die Herrschaft des Rechts gegen die Herrschaft der Stärke, sprich: der Waffen, zu verteidigen. Es sind heldenhafte Opfer für den Geist Europas, sagen die Freunde, und versprechen täglich mehr Milliarden Hilfe. Wer wird diese Milliarden erhalten, auf welches Konto werden sie fliessen?

Auch die Kurden haben vor wenigen Jahren die (christliche) Welt heldenhaft und opferwillig gegen die islamistische Bedrohung verteidigt, freilich ohne substantielle Anerkennung durch den Westen. Warum gelingt es der Politik nicht, solche Mediatoren angemessen zu profilieren? Weil sie zwar Sprachen und Religionen haben, aber kein festes Territorium? Kriege handeln aber von territorialen Ansprüchen. „Volk ohne Raum“, der Slogan eines deutschen Schriftstellers namens Hans Grimm, versah die Mordlust der geschlagenen Deutschen mit einer archaischen Devise. Kann sie ein Selbstbild beschreiben? Welche psychoanalytische Kategorie würde sie treffen?

2024-10-23T14:24:45+00:0004 '22|Gesprächsrundschau|

29. März 2022 – Postmodernes Glasperlenspiel

Gestern besprach Wolf Lepenies in der WELT ein Buch über die sogenannte Postmoderne, von Daniel-Pascal Zorn: „Die Krise des Absoluten. Was die Postmoderne hätte sein können“. Ein Abgesang auf eine intellektuelle Mode, der wir die ersten Wahrheitskrisen verdanken. Erinnern wir uns an das Drama um Alan Sokal? Der Physiker hatte 1996 einen Artikel im postmodernen Jargon an die renommierte kulturwissenschaftliche Zeitschrift Social Text geschickt. Es ging darin angeblich um eine „Transformative Hermeneutik der Gravitationslehre“. Der hoch naturwissenschaftliche Text wurde angenommen, aber von ahnungslosen Redakteuren, die nichts von Physik verstanden. Sie waren einem Hoax aufgesessen. Die Affäre zog damals weiteste Kreise und führte zur Gründung einer neuen Zeitschrift für Geschichte.

Das Buch von Zorn, schreibt Lepenies, endet „mit einer Vision, einer Beschreibung, was die Postmoderne hätte sein können. In einem kreisrunden, transparenten Glaspalast in der Antarktis haben sich acht Männer um einen Tisch zum Gespräch und Austausch der Argumente versammelt. Der Diskurswächter Habermas hätte von ‚herrschaftsfreier Kommunikation‘ gesprochen.“

Wer möchte nicht an Hermann Hesses Glasperlenspiel denken – und hat nun doch den grausig elliptischen Tisch in Putins Reich vor Augen?

2024-10-23T14:25:21+00:0003 '22|Gesprächsrundschau|

28. März 2022 – Das Gespräch am Meere

Gestern wurde in der Berliner Akademie der Künste der Heinrich-Mann-Preis verliehen, diesmal an Lothar Müller, den langjährigen Redakteur von FAZ und SZ sowie Autor maßstabsetzender kulturhistorischer Bücher, zuletzt über Adrian Proust, den Vater des Dichters Marcel. In seiner Dankrede zitierte Müller eine eindringliche Szene aus Heinrich Manns Roman Henri IV: ein „Gespräch am Meere“ zwischen Montaigne und dem König. Eine zeitlose kommunikative Utopie – wie kann ein normaler, freilich sehr gebildeter Edelmann mit einem Monarchen sprechen und von diesem gehört werden? Es geht um die Schrecken der Bartholomäusnacht von 1573, die Heinrich Mann 1938 als Mahnmal aufruft. Der Monarch lässt sich tatsächlich etwas sagen und sucht nach Frieden. In der Geschichte des Dialogs spielt Montaigne eine herausragende Rolle. Seine Essais wurden schon zu Lebzeiten gleichsam Drehbücher für Selbstgespräche, sie haben von ihrer Tiefe und ihrem colloquialen Reiz nichts verloren.

Hat Putin einen Montaigne neben sich? Nein, der Mann heisst leider Dugin und predigt „eurasische Taten“. Wollte man Putin wirklich eine abartig böse Taktik unterstellen, so wäre es der Versuch, Millionen „westlich verdorbener“ Ukrainer in den Westen, am liebsten nach Deutschland zu treiben – wo ebenso viele Russlanddeutsche leben. Werden sie sich verbrüdern? Oder – da ja mehrheitlich Frauen und Kinder kommen – verschwistern? Die Auslassungen des ukrainischen Botschafters lassen Böses ahnen.

2024-10-23T14:26:17+00:0003 '22|Gesprächsrundschau|
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