Zehn Tage Ukrainekrieg sind seit dem letzten Eintrag vergangen, mit unablässigen militärischen Handlungen, mit Opfern an Leib und Leben, mit Fluchtschicksalen, mit diplomatischer und medialer Hochrüstung. Kanzler Scholz hat die deutsche Zurückhaltung im Waffengeschäft – ein Programmpunkt der Grünen – so lange wie möglich verteidigt, letzte Woche ist er dann überstimmt worden. Nachdem nicht nur die beiden Ampelpartner, sondern auch die Opposition aus CDU/CSU für das Liefern von sogenannten schweren Waffen plädiert haben. Könnte man an die politische Einmut aller Parteien von 1914 erinnern, an das gemeinsame Ja zu Kriegskrediten? Schreckliche Vorstellung einer fehlenden Opposition gerade in so einer Situation.
Aber nun meldet sich immerhin eine ganze Reihe von Meinungsbildnern, die diese Rolle medial übernehmen, am eindruckvollsten wohl Jürgen Habermas in der SZ vom 29. April. Auf zwei ganzen Seiten breitet er die Einwände und Bedenken aus, die fast niemandem fremd sein können: kann man die Atomdrohung von Präsident Putin beiseite wischen, als Ausgeburt eines Wahnsinnigen? Kann man die Opferzahl nicht nur an Toten und Verletzten, sondern auch an Flüchtenden und Fürsorgenden durch Kriegshandlungen beliebig steigern, und sei es im Namen von Aufklärung und Humanität, unserem europäischen Ideenparadies? Kann man politische Einrichtungen wie etwa den Internationalen Strafgerichtshof für funktionstüchtig erklären, wenn Großmächte sie nicht anerkennen?
Habermas sieht hier überall rote Linien. Ihn irritiert „die Selbstgewissheit, mit der in Deutschland die moralisch entrüsteten Ankläger gegen eine reflektiert und zurückhaltend verfahrene Bundesregierung auftreten“. Gemeint ist hier vor allem Anna Lena Baerbock, die eine Wende der Grünen zur Kriegspartei ermöglicht zu haben scheint. Habermas schreibt: „Ich sehe keine überzeugende Rechtfertigung für die Forderung nach einer Politik, die – im peinigenden, immer unerträglicher werdenden Anblick der täglich qualvolleren Opfer – den gleichwohl gut begründeten Entschluss der Nichtbeteiligung an diesem Krieg de facto aufs Spiel setzt.“
Er hätte vielleicht auf die Bedeutung der riskanten Operation (schwere Waffen) für die Regierung Joe Biden verweisen können. Kein Thema kann in Washington derzeit so viel Einmut unter den streitenden Parteien erzeugen wie ein veritabler, physisch anzugehender Feind – besonders der russische. Im November will Biden wiedergewählt werden – bis dahin kann er sowohl mit der Waffenlobby als auch mit den human gesinnten Demokraten „Gutes tun“. Wenigstens muss er hier keine Massenvernichtungsmittel erfinden wie einst George Bush im Irak. Und er muss keine Soldaten opfern wie einst seine Vorgänger in Vietnam.