Zu dieser Fragestellung bringt die FAZ von heute eine sehr aufschlussreiche Glosse von Armin Nassehi, Soziologe und Kursbuch-Herausgeber aus München. Sein Blick auf die „Offenen Briefe“ der letzten Wochen gilt der „Debattenkonstellation selbst“, nicht den sattsam bekannten Fragen nach schweren (Kriegs-) oder leichten (Diplomatie-) Waffen. Die meinungsstarken Teilnehmer der öffentlichen Diskussion, sagt Nassehi, benehmen sich gerade wie ein „Schlachtenlenker“, der „die Parteien wie Zinnsoldaten verschiebt, damit der eine mit Gesichtswahrung und der andere mit einer Zukunftsaussicht auf die Lösung >kniffliger Fragen< herauskommen wird.“ Also eigentlich wie Romanciers. Tolstoi hat sich bekanntlich zum Ärger vieler LeserInnen tief in die damalige Militärstrategie von Franzosen und Russen eingearbeitet, aber das spätere, meist weibliche Publikum wollte nichts darüber lesen. Nein, sagt Nassehi, wirklich beurteilen kann man die gegenwärtige Lage nur „in der Echtzeit jener Handlungen und Kommunikationen, die konkret aufeinander Bezug nehmen„: also als dialogische Abfolge, gemessen an den jeweiligen „Ressourcen, Interessen und Möglichkeiten der konfligierenden Parteien.“ Klingt kompliziert – und ist es auch. Denn Nassehi erspart sich (jedenfalls hier) die grausame Tatsache, dass diese Kommunikationen in und mit vielfachen Instanzen spielen und keinem Beobachter wirklich gesamthaft zugänglich sind. Auktorial, wie die Literaturwissenschaft das nennt, kann wirklich nur der Dichter vorgehen. Kommuniziert wird aber politisch, medial und memorial. Also unter lebendigen Menschen, sei’s als Soldat oder als Diplomat oder als ziviles Opfer; also medial unter sprechenden oder schreibenden oder bildgebenden Erzeugern und Teilnehmern von Öffentlichkeit; und schliesslich memorial durch die existierenden und mitwirkenden Institutionen, also durch Kirche, Kultur und Wissenschaft. Alle drei Instanzen haben zugleich eine regionale und eine weltweite Dimension. Kein politisch Verantwortlicher ist heute in dieser Gemengelage zu beneiden; manchen aber fliegt plötzlich eine Schlüsselstellung zu, wie jenem russischen General, der unlängst vom Ende der russischen Armee sprach. Gibt es diesen Mann noch?