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18. April 2021 – Emotionserkennungsoftware

Andrew Lewis Huang , geboren am 8. April 1984 in Kanada, ist ein kanadischer Musiker, Videoproduzent und eine sogenannte „YouTube- Persönlichkeit“. Von ihm stammen “Song Challenges“ Videos in Serie, zahllose Alben und Singles und musikalische wie visuelle Experimente. Im März 2020 brachte er es auf mehr als 2 Millionen Abonnenten. Hier kommen wir in die eigentlichen Weltdimensionen der social media. Eine seiner Arbeiten von 2007 heisst „Doll Face“: “A machine with a doll face mimics images on television screen in search of a satisfactory visage. Doll Face presents a visual account of desires misplaced and identities fractured by our technological extension into the future.”

youtube verzeichnet für dieses Thema über 12 Millionen Besucher. Interessiert hat sich letztes Jahr auch die Kulturabteilung der Internationalen Psychoanalytischen Vereinigung: unterwegs zur fazialen Analyse. Nichts liegt heute näher. Die Wahrnehmung unserer selbst schwankt ja gerade zwischen Maschine und Tier, man denke an Heinrich von Kleists Parabel vom Marionettentheater. Soeben berichtete die FAZ vom 14. April von einem Experiment, das wie eine Antwort auf „Doll Face“ wirkt. Versuchspersonen können an der Cambridge Universität Selfies anfertigen, deren Mimik von einer facedetectionsoftware analysiert wird. Die Idee stammt von Paul Ekman, dem Erfinder der fazialen Analyse. Das Selfie wird nun dem Schema der sechs Emotionen zugeordnet, die Ekman für universal hielt – ein fazialer Klassismus eigener Art. Ekmans System soll Emotionserkennung garantieren, nicht einfach nur Identität. So findet man Lügner heraus, oder Attentäter, oder Frauen in Not. Ekman wurde schon immer kritisiert, nun hat er eine neue radikale Kritikerin namens Lisa Feldman Barrett.

Nach ihrer Meinung gibt es “schlicht keine hinreichenden wissenschaftliche Belege dafür, dass die Gefühlslage einer Person aus ihrem Gesicht abzulesen sei.“ Hoffentlich lässt sich die Emotionserkennungssoftware noch verhindern. In der Wirtschaft wird sie leider längst angewandt, um Bewerber zu klassifizieren.

2024-10-22T23:41:35+00:0004 '21|Gesichtsrundschau|

31. März 2021 – Roboter umarmen, dalli dalli

Während sich unsere Gesprächskultur täglich mehr kannibalisiert, hat der faziale Diskurs wohl schon das Endstadium erreicht. Eine Publikation aus dem Berliner Haus der Kulturen heisst „Haut und Code“ und will menschliche Haut mit digitalen Screens gleichsetzen. Die Autor*innen erzeugen in ihren Auslassungen angeblich „ein interdisziplinäres Rauschen zwischen Oberflächenstrukturen und punktuellen Vertiefungen: Oberflächen, Häute und Interfaces werden verletzt, vermessen, verändert oder geheilt.“ Was für ein intellektueller Wahnsinn herrscht hier? Welche community spricht in dieser Weise miteinander und worüber? Soll eine tastbar technische Fläche als Haut betrachtet werden?

Leider passt dazu der eben erschienene Roman von Kazugo Ishiguro „Klara und die Sonne“, in dem ein Mädchen von ihrer Mutter einen Roboter gegen die Einsamkeit geschenkt bekommt. Und noch besser passt dazu ein Artikel von Melanie Mühl heute in der FAZ. Sie beschreibt die Fortschritte der Robotik: speziell der Sexpuppen aus Japan, wie in dem Film“ Hi, AI – Liebesgeschichten aus Japan“ :„Etwas Gruseliges, Unwirkliches umgibt Sexroboter wie Harmony, eine blonde, devot sprechende Puppe mit vollen Lippen und blauen Augen“. Diese Puppen sollen inzwischen mehr sein als erotische Spielzeuge, vielmehr „ein Gegenüber. Ein Versprechen, dass Liebe nicht weh tut.“
Humanoide Roboter werden längst weltweit sprachlich und bewegungstechnisch raffiniert. Manche können den Kopf bewegen, zwinkern, lächeln, englisch oder chinesisch sprechen. Die Besten sind enorm lernfähig. Je mehr man sich mit ihnen unterhält, je mehr Details sie von dem user erhält, desto näher kommen sie ihm im Gespräch, der user fühlt sich verstanden und vergisst das Künstliche. Auch die Haut fühlt sich echt an, es gibt Augenbrauen aus Echthaar, Sensoren für Gänsehaut und vieles andere.

Die Geschäftsidee selber wurde 1966 von Joseph Weizenbaum entwickelt, in Gestalt von „Eliza“, einem Computerprogramm mit eingebautem Wortschatz. Man simulierte damit eine psychotherapeutische Gesprächssituation. Es stellte sich heraus, dass die meisten Menschen nicht an die Künstlichkeit des Gegenübers glauben mochten, wenn auch nur ein paar Sätze menschenähnlich klangen und der Robot die richtigen Antworten gab. Sie fühlen sich verstanden. Weizenbaum war betroffen, dass sogar manche Psychotherapeuten selber eine Roboter-Therapie für möglich hielten. Zwei Jahre nach Weizenbaums Tod 2010 erschien ein Dokumentarfilm „Plug & Pray“ zu diesem Thema.

2024-10-22T23:41:39+00:0003 '21|Gesichtsrundschau|

8. März 2021 – Weltfrauentag im Gesicht

Gestern stimmten die Eidgenossen wieder einmal über Burka und Niqab ab: diese für uns so befremdliche Frauen-Maske der islamischen Welt. Alle Argumente Für oder Wider sind längst und seit Jahren ausgetauscht. Die Feministinnen haben sich mit den Konservativen (der SVP) verbündet: zusammen sind sie stark. Sie wissen, dass Frauen unter Mohammed und seinen Jüngern unterdrückt und gefoltert werden. Sie wissen, dass man ihnen mit Weltmacht en gros helfen muss, wenn auch nicht en detail. Rund 30 Frauen tragen momentan in der Schweiz eine Burka auf der Strasse, also öffentlich. Da sie glaubensmäßig nicht ohne Burka nach draussen dürfen, müssen sie theoretisch nun immer im Haus bleiben. Auch reiche arabische Touristinnen werden die Schweiz nicht mehr aufsuchen. Man könnte folglich – wie im österreichischen Zell am See – verarmen.
Bescheidene Frage: Könnte man nicht auch mal in Deutschland abstimmen, wo momentan alle drei Tage eine Frau durch Mord oder Totschlag endet? Leben wir in der frauengerechteren Kultur?

2024-10-22T23:41:44+00:0003 '21|Gesichtsrundschau|

28. Februar 2021 – Die FacebookBrille

Sollte noch jemand am Übergang von Facebook zu Face DetectionBook gezweifelt haben, gab es gestern die Nachricht im GUARDIAN dazu.

„Stellen Sie sich Folgendes vor: Sie sitzen in einer Bar und ein unheimlicher Fremder versucht ständig, Sie anzusprechen. Sie ignorieren ihn. Am nächsten Tag erhalten Sie eine SMS von diesem Fremden. Er kennt nicht nur Ihre Telefonnummer, er weiß auch, wo Sie wohnen, er weiß sogar alles über Sie. Die Person hatte nämlich eine Facebook-Brille auf, verstehen Sie? In dem Moment, in dem sie in Ihre Richtung geschaut haben, hat die Brille Sie über die Gesichtserkennungstechnologie identifiziert.
Dies scheint genau die Art von Black Mirror-esque Zukunfts-Facebook, auf die wir gewartet haben.“

Nicht wahr, George Orwell feiert soeben seine Wiederkunft im deutschen Sprachraum mit acht neuen Übersetzungen: doch bis zu so einer Überwachung Face to Face ging seine technische Phantasie allerdings nicht. Für eingefleischte Dialogiker deutscher Sprache ist es aber ein Schock. „Von Angesicht zu Angesicht“ heisst eine der frömmsten Formeln unserer Kirchengeschichte. Nur ein Peter Sloterdijk könnte jetzt lässig einwerfen: naja, Gott hatte eben immer schon eine Face DetectionBrille auf der Nase, hat immer schon in den Grund unserer Seele geschaut. War das nicht gerade ein Baustein des autoritären Charakters, von Adorno/Horkheimer erkannt? Wovon schwärmen die Querdenkerinnen mit offenem Gesicht Face to Face Viren ausströmend?

2024-10-22T23:41:50+00:0002 '21|Gesichtsrundschau|

19. Februar 2021 – Faziale Hinrichtung

Vorgestern zeigte der Sender arte eine Doku aus der Schreckenskammer der deutschen Physiognomik. Es ging um den berüchtigten Fall Bruno Lüdke, jenen mindergeistigen Mann, den abgefeimte Kriminalisten der 1940er Jahre für achtzig Morde an Frauen verantwortlich machen wollten. Aus Mangel an Beweisen wurde er schliesslich getötet. Ein Skandal der Polizeigeschichte unter Hitler – aber nicht nur unter ihm. Nach 1945 gewann die Schauergeschichte an Fahrt, die Medien griffen sie auf, der SPIEGEL berichtete durch Robert Augstein, Robert Siodmak verfilmte sie 1957 unter dem Titel „Nachts wenn der Teufel“ kam.

Niemand bezweifelte die Ermittlungen. Mario Adorf spielte damals den armen Teufel, als der sich Bruno Lüdke endlich erwies. Im Film sieht man ihn im Archiv Dokumente studieren: reumütig darüber, dass er offenbar einen unschuldigen Menschen als abartigen Verbrecher ins öffentliche Bewußtsein gebrannt hatte. Susanne Regener und Axel Doßmann *haben den Fall penibel rekonstruiert. Was die Kriminalbeamten eigentlich antrieb, war blanker Rassismus. Nur weil der Mann angeblich aussah, als ob er hätte töten können, wurde weiter ermittelt. Sein Körper, sein Kopf, die Hände wurden schliesslich vorbildliches Lehrmaterial. Das unentwegt rassistisch angeheizte physiognomische Räsonnieren der NS Bürokratie hatte jede Menschenvernunft zum Schweigen gebracht.
*Axel Doßmann/Susanne Regener, Fabrikation eines Verbrechers. Spector Books Leipzig 2018

2024-10-22T23:41:56+00:0002 '21|Gesichtsrundschau|

7. Februar 2021 – weiter mit der Burka

Noch einmal zum feministischen Burka-Artikel der NZZ von vorgestern. Frauen im Burkagewand, schrieb Autor El Ghazzali, werden von ihren Glaubensverwandten bestraft, unterjocht, entmenscht, symbolisch beerdigt. Wir setzen hinzu: Nicht grundsätzlich so vom säkularen und gebildeten Westen. Im österreichischen Zell am See etwa hat das Zusammenleben mit Musliminnen ganz gut funktioniert. Waren es genügend wohlhabende Touristinnen? Nein oder nicht nur. Gerade die Toleranz gebildeter Aktivisten ist El Ghazzali ein Ärgernis. Er spricht von der Ächtung der Frau durch „linken Kulturrelativismus“ und „Ethnopluralismus der Rechten“. Dahinter flackert also der Schrecken der Kolonialdebatte.

Denn das Thema selbst ist doch an sich ausdiskutiert. Dass der Mensch nur da wirklich Mensch sei, wo man ein blankes Gesicht erkennt, Mimik und Stimme – mit dieser idealistischen Verirrung dürfte man keinen verschütteten oder entstellten Menschen aus den Trümmern eines Krieges oder Erdbebens retten. Auch unsere hoch raffinierte kosmetische Chirurgie könnte man kritisieren: denn wessen Gesicht kommt aus dem OP? Und vor allem: was geschieht gerade mit unserem Corona Weltgesicht? Der Maskenzwang gilt ja momentan gerade in staatlichen, bürokratischen Kontexten: in den Schulen, den Ämtern, sogar auf den Strassen. Maskentragen hängt von der Situation ab – genau wie im Karneval. Zum politischen Werkzeug taugt das nackte Gesicht einfach nicht. Es ist das Zentralorgan der Sozialität.

Eine einzige Ausnahme ist die Gesichtserkennung. Man studiere die Technikgeschichte der face detection. Die gehobene Kriminalistik seit der Frühen Neuzeit braucht nackte Gesichter. Und man studiere die Rolle des Gesichts in den USA, vor allem unter dem Berater Paul Ekman (*1934), dem Spezialisten für faziale Lügenerkennung. Ekman wirkte angeblich beim Aufbau des home ministry nach 9/11 mit. Er gab vor, jeden Lügner bei der Einreise sofort aufgrund fazialer Züge erkennen zu können. Mohamed Atta, der Pilot der Todesmaschine von 2001, konnte 2001 unerkannt mit blankem Gesicht in die Kamera schauen. Nicht auszudenken, wenn Donald Trump seine Obsession mit fake news von Paul Ekman bezogen hätte. Dessen Blockbuster „Lie to me“ lief 2009-2011 und brachte ihm weltweiten Ruhm.

2024-10-22T23:42:00+00:0002 '21|Gesichtsrundschau|

6. Februar 2021 – Corona Lippenstift, gibt es!

Die letzte Ausgabe der Financial Times Weekend hatte eine Mode-Beilage: sehr schick: „Back to Basics. What we want to wear now?“ Eine dichte Seite 45 berichtete über neue Lippenstifte – “The Hottest Red Shades For All-day Wear”.
Werbung musste wohl sein bei 49% Umsatzrückgang – „no parties, no office and no hot dates , what was the point? The eye was hailed as the feature du jour, the focus retrained to the place that remained on view above a mask. … It felt tragic. And desperately unnecessary. “ Beatrice Hodgkin erinnert dann aber an den Lippenstift der Soldatinnen im 2. Weltkrieg als Farbe der Verteidigung. „Hitler hated it“, weiss sie. Und spricht dann von Alexandria Ocasio-Cortez, der demokratischen Favoritin von 2020. Sie trug im Wahlkampf Stila’s Stay All Day Liquid Lipstick! Das merken wir uns.

2024-10-22T23:42:05+00:0002 '21|Gesichtsrundschau|

5. Februar 2021 – Und wieder eine Burkadiskussion

„In Gesellschaften, die der Frau die Verhüllung des Gesichts aufzwingen, herrscht eine Kultur vor, die darauf abzielt, die Frau aus der Gesellschaft auszugrenzen“, beginnt ein Artikel für die Internationale Ausgabe der NZZ: also für die deutschsprachige Leserschaft weltweit. Nun also ein feministisches Referat, mit vielen Zitaten weiblicher Aktivistinnen, aber verfasst von einem männlichen Autor. Ist etwas daran aktuell? Natürlich steht der gräßliche Mord am Geschichtslehrer Samuel Paty vom letzten Oktober unauslöschlich vor Augen, als Teil der fortwährenden islamistischen Bedrohung, nicht nur in Frankreich. Präsident Macron versucht gerade neue Schranken zu errichten.

Aber hat das Burka-Tragen momentan etwas damit zu tun? 2011 erliess Frankreich als erstes Land ein Burkaverbot – viele andere Länder folgten. Nun, unter Corona Bedingungen, wird die Lage paradox. Denn das Gesetz verbietet jede Gesichtsmaske im öffentlichen Raum , verlangt aber seit 2020 medizinisch das Gegenteil. Ein Artikel dazu wäre dringlich erwünscht. Aber darum geht es der NZZ nicht. Worum dann?

Schweizer Konservative lieben das Religions- Thema wahrscheinlich trotz gewaltiger Präsenz- Lücken. Vor ein paar Jahren zählte man vielleicht 100 lebendig verhüllte unter den rund 6 Millionen Eidgenossen, aber vielleicht tausend erschreckende Bilder auf grellen Wahlplakaten und entsprechenden Zeitungsseiten. Als 2015 eine Million arabische Flüchtlinge nach Europa drängten, erschütterte der Hass gegen sie unsere politische Szene. Die Schweiz war besonders erbittert. Bis heute unterstützen manche Zeitungen die Merkelgegner. In diesem Jahr endet Merkels Herrschaft. Mit einer deutschen Ausgabe beteiligt die NZZ sich am Wahlkampf. Soviel zur Aktualität.

2024-10-22T23:42:12+00:0002 '21|Gesichtsrundschau|

23. Januar 2021 – Trumps Gesicht

Nun also, nach dem Abgang des Präsidenten: wer wagt sich an ein Porträt? Wer zeichnet uns ein Meme dieses vier Jahre lang allgegenwärtigen Gesichts? Mir fällt sofort Adrian Daub ein. Gerade erschien von ihm ein süffisant intelligentes Buch über die Erfinder von Silicon Valley: „Was das Valley denken nennt“. Aber schon 2017 beschrieb er die viel ältere, vorwissenschaftliche Form des Denkens, über physische Wahrnehmung von Körpern, vor allem des Gesichts, auch Physiognomik genannt. Wir haben auf dieser website immer wieder gegrübelt.

„The Return of the Face“ hieß der Text in der Plattform namens longread. Auch ohne Trump besonders ausführlich zu erwähnen, fragte Daub schon damals eigentlich „Was das Volk >Trump sehen< nennt“. Er verwies auf eine Fotomontage des SPIEGEL, eine Überblendung der Gesichter von Trump und Putin. Beide Tyrannen werden eben jetzt, im Januar 2021, dramatisch bestürmt. Wir erleben eine Titanomonachie antiken Ausmaßes.

Tatsächlich hat die Pseudowissenschaft der Physiognomik die dazu passende, uralte Geschichte, mit zwei scheinbar disparaten Lieblingsthemen. Das eine heisst Porträtmalerei oder –Fotografie, also Verherrlichung des Individuums. Der andere heisst Rassismus, also Lob einer Ethnie, Hass auf andere. Keine Denkmanier hat in der deutschen Geistesgeschichte schlimmer gewütet als diese Physiognomik. Das Denken in Gesichtern – fromm, fremd, lasterhaft, stark, verrückt, böse etc. – hat das kollektive Denken, besonders das antisemitische, antiafrikanische, antimuslimische gefesselt, wenn nicht in Ketten gelegt. Und gleichzeitig die Abgötterei an den einen Erlöser und Führer entfacht: wir erinnern an Hitler.

„Physiognomik ist eine verworfene Pseudo—Wissenschaft des 19. Jahrhunderts“, schrieb Daub und setzte hinzu: „Warum können wir nicht damit aufhören?“ Ja warum? „ Physiognomik hatte immer etwas von Stammeswissen: was man im Gesicht eines andern sieht, hängt davon ab, wer man selber ist. Erfunden von weissen Männern, fand man Schönheit, Ernsthaftigkeit und ‚Humanität‘ in allen Gesichtern, die jenen der weissen Männer glichen.“ So verliebt dürften Trumps Wähler ihren Abgott erleben. Sich selbst, ihr Ich-Ideal in ihm, auch wenn es dem europäischen weissgott nicht entspricht.

Könnte man diese gefährliche Fixierung auflösen? Ja, sagte Daub 2017. „ Fänden wir eine einzige, universelle Manier der Gesichtswahrnehmung, dann könnten wir den Verdacht entkräften, dass wir in andern Gesichtern immer nur uns selber, unser Volk, unsere Familie finden.“ Und er verwies auf ein Cover des TIME Magazine von 1993. Man sah darauf „The New Face of America“ – und siehe da, es gehörte einer jungen Frau. Komponiert hatte es ein intelligenter Computer aus einem Mix verschiedener Ethnien.

War es ein technischer Coup aus Silicon Valley? Nein, eben nicht. Spätestens seit gestern kennt die Welt Kamala Harris, die neue Vizepräsidentin neben dem neuen Präsidenten. Joe Biden ist wahrhaft ein weißer Mann, zudem noch weise und aus Altersgründen weißhaarig. Aber Kamala Harris ist auch ohne Computer nahezu die Frau, die sich Daub erhoffte: nicht nur ein Gesicht, sondern ein Kind asiatisch-afroamerikanischer Eltern. Und mehr noch: auch Adrian Daub selber hat seit ein paar Tagen ein Töchterchen afroamerikanischer Herkunft. Wir gratulieren! Die Götter mögen beide beschützen.

2024-10-22T23:42:22+00:0001 '21|Gesichtsrundschau|

14. Januar 2021 – Dialog auf Augenhöhe

Während ein welthistorischer Kampf um Lüge und Wahrheit tobt, nimmt die Pandemie ungeheuren Aufschwung . Ein mutiertes Virus aus England steigert die „zweite Welle“ zum Tsunami. Gesundheitsversorgungen weltweit sehen sich „am Limit“. Zu viele Kranke, zu viele Tote, zu wenige PflegerInnen und Ärzte, viele davon längst erschöpft. Unendlicher Streit füllt die Medien – und bedrückende Triagen stehen an.

Die Bevölkerung zerfällt angsterfüllt in Gläubige und Ungläubige. Die Ungläubigen, die maskenlosen,“Gesicht zeigenden“ Lemminge , zweifeln zwar an den Medizinern – glauben aber viel mehr als die braven Patienten. Sie glauben an Verschwörungen aller Art, lassen sich aus den USA über mordlüsterne Demokraten belehren und warten auf den Ausnahmezustand, der ihnen politische „Freiheit“ verschafft. Wie soll man sie regieren?

Die Gesundheitspolitiker fordern immer wieder einen „Dialog auf Augenhöhe“ mit „den Menschen“. Warum? Keine Stunde in unseren Medien, kein Abendprogramm vergeht doch ohne Nachrichten von der Coronafront, keine Busfahrt ohne dauernde Ermahnungen zum neckischen „AHA“ . Was meint man mit diesem Dialog? Der Ausdruck selber beschreibt doch eigentlich nur den Reporter mit Mikro und Kamera. Menschen auf Augenhöhe befragen – das mag gut für die Zuschauer sein, aber auch für die Köpfe? Der Pferdefuss dieser Technik besteht im Modus des Dialogs. Fragen des Reporters werden vom Befragten beantwortet, aber die Antwort steht dann meist einfach im Raum – egal wie klug oder töricht. Der Reporter muss weiter.

Dabei hat die EU verschiedene kluge Beschlüsse gefasst. Impfstoffe wurden zugelassen, eingekauft und verteilt; arme Regionen werden bedacht, Senioren und PflegerInnen vorrangig behandelt. Das gigantische Hilfsprogramm für die notleidenden Südländer wurde angeworfen: mit einer grotesken Szene in Rom. Matteo Renzi , der Juniorpartner von Ministerpräsident Conte, hat gestern die Koalition aufgekündigt. Vor dem Bruch kam ein langer Brief mit dem Hauptvorwurf: die Regierung soll EU Gelder unter EU Aufsicht erhalten, will aber nicht. Das Beispiel Griechenlands ist bedrückend unvergessen.

2024-10-22T23:42:26+00:0001 '21|Gesichtsrundschau|
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