Vorgestern zeigte der Sender arte eine Doku aus der Schreckenskammer der deutschen Physiognomik. Es ging um den berüchtigten Fall Bruno Lüdke, jenen mindergeistigen Mann, den abgefeimte Kriminalisten der 1940er Jahre für achtzig Morde an Frauen verantwortlich machen wollten. Aus Mangel an Beweisen wurde er schliesslich getötet. Ein Skandal der Polizeigeschichte unter Hitler – aber nicht nur unter ihm. Nach 1945 gewann die Schauergeschichte an Fahrt, die Medien griffen sie auf, der SPIEGEL berichtete durch Robert Augstein, Robert Siodmak verfilmte sie 1957 unter dem Titel „Nachts wenn der Teufel“ kam.

Niemand bezweifelte die Ermittlungen. Mario Adorf spielte damals den armen Teufel, als der sich Bruno Lüdke endlich erwies. Im Film sieht man ihn im Archiv Dokumente studieren: reumütig darüber, dass er offenbar einen unschuldigen Menschen als abartigen Verbrecher ins öffentliche Bewußtsein gebrannt hatte. Susanne Regener und Axel Doßmann *haben den Fall penibel rekonstruiert. Was die Kriminalbeamten eigentlich antrieb, war blanker Rassismus. Nur weil der Mann angeblich aussah, als ob er hätte töten können, wurde weiter ermittelt. Sein Körper, sein Kopf, die Hände wurden schliesslich vorbildliches Lehrmaterial. Das unentwegt rassistisch angeheizte physiognomische Räsonnieren der NS Bürokratie hatte jede Menschenvernunft zum Schweigen gebracht.
*Axel Doßmann/Susanne Regener, Fabrikation eines Verbrechers. Spector Books Leipzig 2018