Gesichtsrundschau

12.April 2025 – Die Maske des Clowns

Wer einen Clown bestellt, erhält Zirkus, schrieb unlängst Thomas Friedman in der NYtimes, welche die breakdances des Präsidenten minutiös notiert. Wieviel Mut dazu gehört, kann man aus europäischer Sicht schwer abschätzen, aber die Rachsucht des Autokraten ist bekannt. Bekannt ist auch, wie minutiös Trump seinerseits notiert, an wem und wofür er sich rächen möchte. Die deutsche Rachsucht unter Hitler dürfte ihn inspiriert haben, schliesslich begleiteten die amerikanischen Journalisten den deutschen NS Aufstieg jahrelang eher sympathetisch als kritisch. Der 2024 verstorbene Medienhistoriker Lutz Hachmeister hinterliess eine Studie darüber; das vielzitierte Buch von Sinclair Lewis „It can’t happen here“ rekapitulierte die gesammelten Topoi der NS Propaganda bereits 1933 als Eigenleistung.  Wird oder wurde ein Verbot der NYTimes bereits vorbereitet, wurden die Lebensläufe und Schriften der Mitarbeitenden bereits durch KI zensiert und referiert? Die Mitwirkung der Künstlichen Intelligenz am Rachefeldzug der Trump Administration kann nicht überschätzt werden.

2025-04-12T17:50:37+00:0004 '25|Gesichtsrundschau|

9. März 2025 – „Amerikas neues Gesicht“

So titelte der SPIEGEL das Cover seiner jüngsten Ausgabe. Man sieht Lady Liberty mit ohnmächtig geballter linker Faust, zähnefletschend mit  Zügen Cäsars. In der Strahlenkrone sitzt winzig der finster blickende Mr. Trump mit seiner roten, erkennbar zu langen Krawatte. In der Ausgabe selber werden abenteuerliche Bedrohungen von Freiheit und Demokratie durch die USA  beschrieben und ebenso abenteuerliche Gegenmaßnahmen  der (meisten) europäischen Länder. Viele von uns werden sich an die SPIEGELCovers der ersten Amtszeit des Präsidenten Trump erinnern. Es waren ungeheuerliche Bildentwürfe, die für viele gläubigen Transatlantiker völlig überzogen wirkten. Trump am 12.November 2016  als glühender Komet mit aufgerissenem Maul im Anflug auf eine winzige grünliche Murmel im Weltall;  Bildlegende „Das Ende der Welt (wie wir sie kennen)“.  Trump am 4. Februar 2017: gesichtslos steht er im Raum mit erhobenen Armen: in der linken Hand ein blutiges Messer, in der rechten das abgeschlagene Haupt der Freiheitsstatue. Legende: „America First“. Trump am 3. Juni 2017: der Erdball als flammende Golfkugel, von Trump triumphierend ins Weltall geschlagen, Legende: „You´re Fired!“ Trump  am 29. Juli 2017: Merkel schiesst ihm einen Fussball ins Gesicht, Legende: „ Die Lage der Nation. Wie wir leben, wie wir denken: Ein Heft über Deutschland. –  4. November 2017 Trumps Profil als riesige Welle in Hokusais Manier gezeichnet, gerade überschwemmt sie die Hauptstadt, nur noch wenige Gebäude stehen: „Washington ein Jahr danach“.  14. Juli 2018: Trump mit Riesenmaul will kleine Merkel verschlingen. Legende: „Zerrüttung. Was es für Deutschland heisst, Donald Trumps Feind zu sein.“ Trump am 14. Dezember 2019: als Gorilla am Empire State Building hängend, mit der Unterschrift „ Yes, he can. Warum Donald Trump einfach mit allem durchkommt“.

2025-03-09T17:39:38+00:0003 '25|Gesichtsrundschau|

20. Januar 2025 – Devil’s Face?

Gleich wird er gekrönt, gleich wird er den Eid auf eine alte Bibel schwören wie schon 2017, und die halbe Welt wird zuschauen. Das amtliche Gesicht dazu erschien heute in der FAZ auf der dritten Seite.  Man sieht einen übermüdeten bad guy,  schlechtgelaunt, in schlecht beleuchteter Untersicht:  aber nein, diese Aufnahme gilt als präsidial, erscheint schon im neuen wikipedia Eintrag. Zum Fürchten!  Schütter und vergreist ist die berühmte Haartolle, drohend verschlagen die Miene, schmallippig, brauenlos, mit zweierlei Blick aus zweierlei Augen, die amerikanische Fahne im Knopfloch. „Zweierlei Blick“ wäre wohl untertrieben: der Mann spielt den „Rächer der Enterbten“ in Gestalt eines Hochfinanzjongleurs, eines Immobielienhais, mit teuflischer Kenntnis im Showbusiness als sogenannter „Apprentice“. Was heisst hier  „Mr. President“?

2025-01-22T12:15:41+00:0001 '25|Gesichtsrundschau|

2. Januar 2025 – Bacons Gesichter am Kreuz

Francis Bacons Porträts, 55 an der Zahl, ausgestellt in London: das ist seit November letzten Jahres ein faziales Ereignis in der National Portrait Gallery. Wo auch sonst. Die Schau „Human Presence“  – bis 19. Januar 2025 –  erhielt u.a. eine knappe Besprechung im Guardian und eine sehr ausführliche von der Nachlassverwaltung. Hier wird Kuratorin Rosie Brodley gelobt für Auswahl und Anordnung, besonders im Namen der „literalness“, als sei buchstäbliches Erkennen der dargestellten Personen ihr Markenzeichen. Nein, sagt der Guardian, niemand ist hier erkennbar ausser Bacon selber. Alle Körperlichkeit fluktuiert im Gehege einer leidenden Geschöpflichkeit,  Mensch und Tier und RangObjekt ununterscheidbar. Bacons berühmtes erstes Tryptichon von 1944 hat ohnehin nichts mit christlicher Ikonographie zu tun. Es soll griechische Racheengel zeigen, Eumeniden mit aufgerissenem Maul. Der hilfeschreiende Mund blieb ein grelles Motiv in Bacons späterem Werk, besonders der Papstdarstellung.

Gesichtliche Kollektionen wie diese sind seit Rembrandt ein eigenes Format der Kunstgeschichte. Immer wieder erschufen Künstler und präsentierten Institute des Kunsthandels faziale Sammelwerke von Fremd- und Selbstporträts. Neben den Kunsthandel trat die Wissenschaft. Eine erste Mode entstand in der Frühzeit der Physiognomik beim schweizerischen Pfarrer Johann Kaspar Lavater;  im 19. Jahrhundert, inspiriert von Charles Darwin, entstanden kriminalistische Tafeln mit Geisteskranken oder Verbrechern. Mehr und mehr einigte man sich auf die „Literalness“ der Gesichtsaussage. Das Innere kehrt sich angeblich im Gesicht nach außen. Nichts einfacher, als Verbrecher oder Verrückte am Gesicht zu erkennen. Den dämonischen Höhepunkt dieser Obsession, noch verstärkt im Kino, bildeten rassistische Entgleisungen seit dem 20. Jahrhunderts, weltweit.

Und heute? Erst gab es facebook, als Medium der Selbstdarstellung, als „Teilung“ von Status. Dann schlug das Selfie alle fremdgesichtigen Formate aus dem Feld, durch die egomane Technologie der handys. Selfies wollen Status und Schönheit, und sei als fake. Aber daneben grassiert eben seit Jahrhunderten auch eine immer schärfere staatliche Face detection. Das Passbild eben.  „Literalness“  im Dienst der Kriminalistik. In diesem fazialen techno-Tryptichon wirken Bacons Gesichter wie Hilferufe der Natur selber. Weil sie unsere unberechenbare Mimik als Fleisch erkennen lassen.

 

2025-01-09T15:19:18+00:0001 '25|Gesichtsrundschau|

18. Dezember 2024 – Lächeln im Schlachthaus

Nach und nach kommen jetzt Berichte aus dem Inneren der befreiten Nation. Zuoberst Berichte aus dem sogenannten „Schlachthaus“, dem zentralen Zuchthaus des Landes unter Assad, Stätte schlimmster Folterungen. Vor Jahrzehnten gab es schon einmal einen Fotobericht mit Tausenden von Opfern, kaum ansehbar. Jetzt müssen die Ärzte und Pathologen sich mit den humanen Überresten befassen, um Individuen für die überlebenden Familien und Freunde  zu identifizieren. Den makabersten Zugang gewinnt man offenbar durch Vergleiche von Schädeln und Fotografien der Lebenden. Cian Ward zitiert im New Statesman einen Arzt, der perlentaucher von heute bringt eine Übersetzung: „Wir nehmen ihren Zahnabdruck und überprüfen dann sekundäre Merkmale wie Tattoos oder Operationsnarben … Außerdem bitten wir die Familien um um ein Foto ihrer Angehörigen, vorzugsweise mit einem klaren Lächeln“. Denn die Opfer, schreibt Cian Ward weiter, „sehen aufgrund ihrer verwesenden Haut, die ihre Wangen strafft [aus], als würden sie grinsen“.

2024-12-18T15:23:10+00:0012 '24|Gesichtsrundschau|

7. Dezember 2024 – Das Gesicht als Brennpunkt

Buchstäblich vom Brandgeruch bei einem facelifting berichtete vor einer Woche der  SPIEGEL. Eine Mitarbeiterin hatte sich der Tortur unterzogen, natürlich nicht irgendwo oder irgendwie, sondern bei der vielleicht berühmtesten Dermatologin des Landes. „Ich rieche, wie ich verbrenne“, beginnt der Text makaber genug und seltsam platziert im zentralpolitischen Magazin der Republik. Er endet nach einer siebentägigen Schöpfungsgeschichte mit  Wiedergeburt: „ Am siebten Tag ist der Schorf fast abgefallen, die neue Haut darunter ist weich und strahlt“.

Wie lange die Jugendillusion nun wohl vorhält? Egal, Advent, Weihnachten und Silvester wetten jetzt gerade um das schönste Gesicht. Und die Medien wollen es unangenehm politisch. Teils soll Gebärfähigkeit immer weiter simuliert, teils der „Abcheckblick“ der dating industry abgefedert  werden, als gäbe es keine nationalerotischen Diversitäten weltweit. „Weich und strahlend“: Will man einfach nur jünger im festlichen Kerzenlicht erscheinen? Gabriele von Arnim sieht das wohl anders. In einer Kulturzeitsendung erschien sie unlängst fazial unzensiert wie ein bitcoin in einer bislang unbekannten organischen Währung.

Der Vergleich ist reizvoll. Denn wie verhält sich unser Gesichtskonsum zu den technischen Entwicklungen, vor allem zum facedetection Programm der Regierungen?  Die Edelbeilage der FAZ von heute gibt  Ratschläge, auch sie durchaus makaber.  Facelifting bedeutet demnach Arbeit im „deep face“. Obere Schichten werden abgehoben, untere zusammengezogen – nun ja.  „Deep-plane facelift“ heisst die Methode. Aber mit „deep face“ würden wir eher Trumps „Deep state“ oder sogar  „Darknet“ assoziieren. Also mit dem komplementären Begriff zu jenem Gesicht, das heute gnaden- und teilweise mörderisch sinnlos als nackte Oberfläche registriert und verfolgt wird.

Nichts von alldem, was das Gesicht einst in Kunst und Literatur an Bilderfindungen oder Wortstürmen erregt hat, nichts von Ausdruck, Eigenheit, Verzückung und Einladung ins Face-to-Face, in die dialogische Dimension des Begehrens, steht hier noch zur Debatte.  Deep face entscheidet vielmehr über die entzifferbare Codierung des Gesichts, die schon Primaten neuronal erkennen. Alles andere, die Haut, die 42 Muskeln, mit denen wir Ausdruck und Mitteilung erzeugen, bleibt an der, oder vielmehr IST Oberfläche.

2024-12-08T15:16:15+00:0012 '24|Gesichtsrundschau|

29. November 2024 – Das verlierbare Gesicht

Vor wenigen Tagen, am 26. November, stellte  Angela Merkel ihre Autobiographie  im Deutschen Theater vor, im Gespräch mit Anne Will, der langjährigen Talkshow Moderatorin des WDR und ebenfalls langjährigen, geradezu auserwählten  Begleiterin von Merkels öffentlicher Laufbahn.  Schon einen Tag zuvor hatten die beiden einander zu einem Dialog getroffen,  im Podcast der Anne Will,sozusagen zu einem Probelauf, und das erwähnte Will nun auch im Theater und fügte hinzu: „Haben Sie eigentlich diesen Podcast schonmal angehört?“ „Nein“ , antwortete Merkel unverzüglich und traf damit die Moderatorin offenbar ins Herz. Sie antwortete kaum hörbar mit dem Satz „Na dann ist ja unser Interview hier schon gelaufen“, wobei sie ihre  langen Haare kurz vors Gesicht schob. Das war also eine Kriegserklärung. Aber es ging erstmal friedlich und freundlich weiter.  Die NZZ hat am 28 . 11. darüber berichtet. Merkel antwortete oft unter Beifall. Aber bald wechselte Anne Will den Ton. Es ging um die strittigen Fragen der politischen Existenz unter der Bundeskanzlerin – dabei will das Buch beide Lebensabschnitte gleichmässig  werten. Der zentrale Satz hiess sinngemäß: Die 35 Jahre Erziehung und Ausbildung in der DDR haben mich für die 35 Jahre politischer Existenz im Westen befähigt . Genau diese Befähigung wollte Anne Will  gnadenlos bezweifeln. Die grossen Krisen, die Flüchtlinge, die Corona Krise, das Erstarken der AfD, das Verhältnis zu Russland: nichts hielt der Beurteilung stand. Ein Thema nach dem andern sollte Gesichtsverlust auf der ganzen Linie bewirken. Dabei blieb das Publikum, oder doch der hörbare Teil, unerschüttert.  „Auch im Rückblick sehen Sie keinen Fehler?“ –  „Nein“: man klatschte.

Gesichtsgewinn, – wahrung und – verlust ist tatsächlich neben allen dramatischen Kriegshandlungen die Währung, in welcher Diplomatie heute  gehandelt wird. Sie entspricht nicht nur der masslosen Gesichtlichkeit der Selbstwahrnehmung, sondern auch der Flutung unserer Kommunikation durch Emojis, also durch vorgestanzte mimische Formeln, deren Existenz nicht etwa mehr Ehrlichkeit, sondern stereotypischere und schnellere , sprich medialere Kommunikation erlauben. Welcher politische Akt Gesichtsgewinn verspräche wird dabei längst auch öffentlich erwogen, nicht etwa im Hinterzimmer. Oder besser: dieses Zimmer liegt immer weiter hinten, ist immer verborgener. Darknet, heisst es im mafiösen Jargon, oder Deep state.  Merkel zog sich schliesslich mit einer gewitzten Replik aus der Affäre.  Wem sei geholfen, wenn sie sich schuldig und reuig erklärte? Und sei das Zugeben von Fehlern (also Gesichtsverlust) an sich schon eine Art Gütesiegel? Den ganzen brodelnden Opferdiskurs zu umgehen war wohl angesichts ihrer Lebensleistung angemessen. Und schob die 35 Jahre in der DDR fast rechtskräftig vor den Vorhang.

2024-11-30T10:14:15+00:0011 '24|Gesichtsrundschau|

16.Februar 2024 – Kein Ende des Streits

Nein, muss ich dieses Tagebuch heute fortsetzen, nach einem Monat. Es war ein Monat grausamsten Krieges zwischen Israel und Hamas, aber auch unablässiger diplomatischer Anstrengungen aus aller Welt. Heute begann wieder einmal eine Sicherheitskonferenz in München, was kann sie erbringen? Brutale Angriffe der Hamas auf Israel, Mord, Vergewaltigung, Geiselnahmen brachten das israelische Militär an die Grenzen der Leistungsfähigkeit und Akzeptanz weltweit. Was für ein Gegner! Eine jahrzehntelang hochgezüchteteTerrorgruppe, die sich mit menschlichen Schutzschilden absichert, Tunnel unter Krankenhäuser und Schulen gräbt, und wiederum weltweite Unterstützung findet. Wer müsste nicht zittern vor einem Gegner, der 2011 einen Bin Laden zu einer lang ausgebrüteten teuflischen Rache motivierte. Aber wer müsste eben auch nicht zittern vor der israelischen Vergeltung. Wissen wir, wieviel messianische Hoffnung auf dieses Armageddon gesetzt wird, wissen wir, welche Rolle die ultraorthodoxen Regierungsmitglieder neben Benjamin Netanjahu spielen – spielen dürfen? Der Messias kommt, wenn die Not am größten ist. Dieses Scenario hat die Hamas den Juden bereitet: wohlgemerkt nur den gläubigen, die keinen Wehrdienst leisten.

2024-10-22T23:38:10+00:0002 '24|Gesichtsrundschau|

15. November 2023 – Das Ende des Streiks

Endlich hat man sich in Hollywood geeinigt, auf ArbeitsKonditionen für AutorInnen und SchauspielerInnen, bei gegebener und unhintergehbarer Mitwirkung der Künstlichen Intelligenz. Die ist gekommen, um zu bleiben, müsste man mit drohendem Unterton sagen. Auch wenn die Panik etwas verflogen scheint, man hat wohl die Vorteile erkannt, die überragende Intelligenz und Belesenheit allemal erbringen – aber hat sich die Weltlage deshalb wirklich verbessert? Wird KI genutzt, um Frieden zwischen den Völkern herzustellen oder dient sie im Gegenteil dazu, immer raffiniertere Anschläge auszuführen? Israel, das seit dem 7. Oktober einen bitteren Krieg gegen die Palästinenser führt, könnte diese Intelligenz brauchen, um die HAMAS unter den Krankenhäusern zu outen und zu vernichten, ohne die Patienten, die Neugeborenen, das Personal und womöglich die Geiseln über der Erde zu schädigen. Ist das denkbar?

2024-10-22T23:38:31+00:0011 '23|Gesichtsrundschau|

20. Juli 2023 – Der Streik in Hollywoodss

Seit Tagen brodelt es in der Kinowelt. Seit 60 Jahren gab es das nicht: Gewerkschaften haben zum Streik aufgerufen, erst die der Drehbuchschreibenden, dann der Schauspielenden. Alle beide konnten Lohnforderungen nicht durchsetzen, die der miserabel bezahlten Majorität dienlich wären: denn was die Stars verdienen, betrifft eine ganz andere Liga. Was sie aber alle eint, die minder-, die mehr- und die alles Verdienenden, ist momentan die Furcht vor dem Automaten ChatbotGPT, den man inzwischen mit einer Atombombe oder Pandemie vergleicht. ( Wie arglos war noch mein Eintrag vom 15. März!) Das digitale Abgreifen der physischen Performance von Schauspielenden, um jederzeit deren Auftritt im Produkt „korrigieren“ zu können oder sie gar überhaupt ganz aussen vor zu lassen, ist eine wahrhaft teuflische Vorstellung. Wer hat dieses Drehbuch einer neuen, brutalen Sklaverei ersonnen: den Verkauf eines lebenden Leibes an die ZweitVerwerter, die dieses Lebendige nicht mehr brauchen? Wie soll man der Gier Herr werden? Wir denken an einen Kaufmann von Shakespeare, so prekär diese Assoziation auch sein mag. Beim Dichter wird das böse Ende abgewendet, werden gute Winde für die Fracht beschworen, der lebensdienliche Importeur bleibt verschont. Aber das Gedankenexperiment aus Venedig ist in der kulturellen Welt. Kolonialismus am lebenden Individuum: vielleicht war das schon immer der Algorithmus der Überlieferung?

2024-10-22T23:38:39+00:0007 '23|Gesichtsrundschau|
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