Gesprächsrundschau

20. Juli 2023 – Das Attentat als Sprechakt

Heute denken wir hierzulande an Taten, mit denen die Deutschen bis 1944 versuchten, Hitler zum Schweigen zu bringen. Sechzehn Attentate soll es gegeben haben, alle hat er überlebt, immer half ihm ein dämonischer Schutzgeist. Der neue Verteidigungsminister Pistorius sagte in seiner Rede im Bendlerblock, dass der monströse Diktator schliesslich nur mit ausländischer Waffenhilfe zu besiegen war. Er hätte auch sagen können: mit dem Reichtum, der Intelligenz, dem Leben, dem soldatischen Pflichtbewußtsein der Andern. Nach der Niederlage half man den Deutschen auch noch aus der Misere, aus Furcht vor einer Wiederkehr der Ressentiments von 1918. So auch sollten wir jetzt, sagte Pistorius, der Ukraine helfen. Können wir das? Sind wir freigebig?

2024-10-23T13:58:50+00:0007 '23|Gesprächsrundschau|

9. Juli 2023 – Die zwei letzten Monate

Was haben sie der Welt erbracht? Die letzten Einträge in diesem Tagebuch haben wohl alles notiert, technische und kommunikative, militärische und zivile Katastrophismen aller Art, nicht aber bestimmte stille Diplomatien, denen wir nun öfter begegnen. Nachdem China grundsätzlich und öffentlich Putin unterstützt hat, gelingt es momentan dem wiedergewählten türkischen Präsidente Erdogan, die Parteien an einen Tisch zu bringen: zunächst wegen der Getreideabkommen mit der Ukraine, dann aber wohl auch wegen grundsätzlicherer Abmachungen. Was wird es sein? In Deutschland hat sich mit den Initiativen der Feministin Alice Schwarzer und der Linken Politikerin Sahra Wagenknecht eine scheint’s friedensbewegte Fraueninitiative entwickelt, russenfreundlich, gegen Grüne und SPD agierend und als Kalte Kriegerinnen gegen die USA . Joe Biden muss derweil mit der NATO den Kampf gegen Russland und seinen eigenen gegen Trump vorbereiten und dabei auf einem Hochseil balancieren. Deutschland kommt eine Schlüsselstellung im Schach mit Russland zu. In diese Situation gehört die Titelgeschichte des neuen SPIEGEL, über das Ende der Wahrheit, in Gestalt des mentalen Dinosauriers CHAT GPT oder einfach KI. Kann sich in diesem Nessushemd, unter dieser künstlichen Wolke das Weltgeschehen verändern? Siehe die Einträge hier bis zum 6. Mai und die entsprechenden in der Gesichtsrundschau.

2024-10-23T13:59:34+00:0007 '23|Gesprächsrundschau|

6. Mai 2023 – Laßt Drohnen fliegen und GPT entscheiden

Täglich wird es deutlicher: nicht nur die neuesten Waffen, auch und vor allem die neue Dialogmaschine ChatbotGPT hat sich wie ein Sandsturm über die Geisteswelt verbreitet. Überall knirscht es, überall versucht man, es entweder loszuwerden oder in Dienst zu nehmen. Gestern in der NYT ein hoch besorgter Artikel von David E. Sanger, dem langjährigen Beobachter der US-Militärszene in Washington. Muss man fürchten, dass GPT sich zur autonomen Killermaschine entwickelt, ohne dem Menschen noch zu gehorchen? Muss man fürchten, dass AI entscheiden will, wann eine Atombombe wohin geworfen wird? Wie verhalten sich die feindlichen Großmächte Russland, Amerika und China in dieser Fortsetzung des „Great Game“? Die Hauptsorge der US Militärs ist aber die Geschwindigkeit, mit der die autonomen Systeme entscheiden und handeln. Diese Schnelligkeit ist für Menschen unerreichbar. Eine Konsequenz wäre, in sämtliche Waffensysteme weniger Software einzubauen. Weniger Chips würden auch weniger Chip-Produzenten bedeuten. Aber bis man soweit ist – was kann geschehen? Noch weiss man nicht, warum unlängst eine Drohne über dem Kreml kreisen konnte, trotz stärkster Abwehrmassnahmen.

2024-10-23T14:00:14+00:0005 '23|Gesprächsrundschau|

30. April 2023 – OsterUnruhen – Lasst Waffen sprechen

Starke Nerven brauchte man wohl schon immer, um den tückischen Politbetrieb gedanklich zu verkraften, aber momentan müssten Stahlseile in den Köpfen verlegt sein. Bei weltweit wachsender Waffenproduktion eröffnen sich wöchentlich neue Schlachtfelder: erst Israel, dann Sudan, dann Berg Karabach, dazwischen Haiti u.a.m. Daneben immer weiter Krieg zwischen Russland und der Ukraine. Schon wurde hierzulande der neue deutsche Bundesminister für Verteidigung Pistorius zum beliebtesten Politiker gewählt und folglich zur SPIEGEL Covergestalt; Pistorius grinsend mit dem Zeigefinger auf den Betrachter zeigend und damit das alte US Plakat von 1917 zitierend: „I wish you“ hiess es damals zum Einstieg in den 1. Weltkrieg, „For the US Army“. Soweit sind wir schon? Gleichzeitig entstehen panisch motivierte Abwehrstrategien gegen ChatbotGPT, dessen rasendes multitasking gestern zu einer ersten EU Stellungnahme geführt hat. Man will die grenzenlose Fälschungskapazität im visuellen Gebrauch verbieten, alle Bilder sollen mit einem Urhebervermerk versehen werden. Wer soll das kontrollieren, und wie könnte eine analoge Absicherung im Textbereich aussehen? Kompositionen im Musikbereich schwappen offenbar schon in die digitalen Verkaufsräume. Warum nicht, schreibt ein Musikjournalist in der nmz, dann mendeln sich doch die billigen Tonfolgen heraus und lassen die wahrhaft kreativen Stimmen umso heller erklingen. Ein frommer Wunsch. Die Einschätzung von GPT als „Vierter industrieller Revolution“ steht im Raum. Parallel zum WeltKriegsgeschehen, parallel zum ErdKlimawandel. Was für ein Wandel!

2024-10-23T14:01:28+00:0004 '23|Gesprächsrundschau|

15. April 2023 – KI Dialog Spiel und Realität

Nichts hat sich seit einem Monat geändert, ChatGPT ist weiter auf dem Vormarsch, hat Schulen, Seminare, Redaktionen, wahrscheinlich auch Parlamente und Abgeordnete erreicht. Die Firma OpenAI hat zugegeben, dass das frühreife Opus Nummer 3 in die Hände von rund 1 Million neugieriger User entlassen wurde, um deren Korrekturen einzuheimsen und damit also kostenlos zu verbessern; daraus soll nun GPT 4 entstanden sein, vielfach zuverlässiger, aber auch kostenpflichtig.

Was mich momentan interessiert wäre: könnte GPT 4 oder 5 die vertrackte Friedensfrage lösen? Könnte man alle Daten, die Kriegslage weltweit betreffend, eingeben und den BOT nach Art eines Schachcomputers spielen lassen? Schliesslich gilt die Komplexität der Schachzüge als kaum überbietbar. Auf die Idee musste man vorgestern kommen, als ein Tsunami von Whistleblowing die Nachrichtenwelt überschwemmte. Jemand hatte sämtliche Unterlagen des Pentagon geleakt und sogar in die social media entlassen. Tagelang glaubte man erst an Fake News, – aber nein, alles kam aus den zuständigen Büros. Gestern schliesslich erschien in den News auch der Missetäter: ein 21 jähriger junger Mann, in einer US Militärbehörde beschäftigt, aber auch in einem Spielverein namens Discord unterwegs. Er hatte Zugang zu streng geheimen Unterlagen und wollte seinen Spielfreunden imponieren. Da sind wir doch mitten in der immer schon fragwürdigen US Unterhaltungsgesellschaft, ganz abgesehen von der fatalen Schutzlosigkeit ihrer „classified informations“. Oder weist diese Spielsuchte uns jetzt gerade den Weg?

2024-10-23T14:02:17+00:0004 '23|Gesprächsrundschau|

15.März 2023 – Das ungeheure Wachsen von GPT CHatbot , inzwischen 4

Seit Wochen tobt durch die Welt der Medien das Werkzeug ChatbotGPT: der praktisch jede Frage beantworten kann, inzwischen auch Witze macht, Korrekturen anbringt, Sachfragen erörtert, Referate, Artikel, Gutachten schreiben kann u.v.a. Geradezu gespenstisch wirkt seine Begabung in visueller Prosa: es kann Bilder hochauflösend beschreiben, aber beschriebene Bilder auch selber herstellen; und gibt man ihm Fotos vom offenen Kühlschrank, schreibt er Rezepte für hilflose Köch*innen. Nicht nur die Journalisten, die Unternehmer, die Werbefirmen, auch die Bildungsfunktionäre erliegen nach und nach dem Charme: Lehrer*innen, Professor*innen, Staatssekretär’innen erwägen den Einsatz, denn eine der praktischsten Funktionen ist die Fähigkeit zum Resümieren ganzer Bücher, jedenfalls langer Texte. Alle Welt könnte ZEIT sparen! und die gewonnene für die Lebenswelt nutzen: Kunst- und Musik, Sport, Kinder- und Krankenpflege, soziale Rituale aller Art. Natürlich soll das Werkzeug noch hassfrei, lügenfrei, etc. werden; doch bisher kann es noch nicht immer zwischen wahr und falsch unterscheiden. Kann es also unversehens Lügen auftischen. Es ist noch in B-Version. Wie harmlos klingt die Beschreíbung der Macher: We’ve trained a model called ChatGPT which interacts in a conversational way. The dialogue format makes it possible for ChatGPT to answer follow-up questions, admit its mistakes, challenge incorrect premises, and reject inappropriate requests.

2024-10-23T14:03:17+00:0003 '23|Gesprächsrundschau|

23. Februar 2023 – Die Philosophie des Streitens

Seitdem ich dieses Tagebuch führe, folge ich eher unfreiwillig der postmodernen Theorie des französischen Philosophen Jean-Francois Lyotard. Aber erst heute habe ich das Motto von Alexander Kluge aufgegeben, wonach ein Wortwechsel zwischen Sprechenden und Hörenden, eine Art Musik sei. Also Harmonie. Genauso hat es die Geschichte der Konversation überliefert, und als harmonischen Austausch hat zuletzt 1981 mit großer Autorität Jürgen Habermas die Gesprächskultur als „Theorie der Kommunikation“ betrachtet. Und zwar als normativ geregelte Kommunikation, die Wahrheit, Logik , Sinnhaftigkeit und Plausibilität von geäusserten Sätzen anerkennt oder eben nicht.

Dass gerade heute, mitten im Kampf um die Ukraine, der greise Jürgen Habermas erneut auf Kommunikation statt Krieg setzt und damit auf friedliche Mittel der Konfliktlösung, kann nicht verwundern. Er steht in einer langen, antiken Tradition vom Nutzen der Sprache zur Erkenntnis, und zwar zur gemeinschaftlichen Erkenntnis. Viele Menschen teilen diese Meinung auch heute noch, und daher soll es am heutigen Abend auch in New York zu einer entsprechenden Resolution der UNO kommen: „Vom Kriegsherrn Putin wird Frieden verlangt“. Dieser Satz soll nicht als „Sprachspiel“ verstanden werden, auch wenn es zu Widerspruch kommen sollte.

2024-10-23T14:03:53+00:0002 '23|Gesprächsrundschau|

22. Februar 2023 – Das Duell der Präsidenten

Am gestrigen Dienstag endete der Karneval im Rheinland. Nachts vor dem Kölner Dom wurde feierlich „dä Nubbel“ verbrannt – jetzt also sind wir im Aschermittwoch – und zwar in jeder Hinsicht. Denn verbrannt wurde gestern auch eine friedliche, eine vergnügte rheinische Epoche. Bei schönstem Sonnenschein hatte sich noch einmal jene Unterhaltungsgesellschaft in Szene gesetzt, zu der uns nicht nur die alte französische, sondern eben auch die amerikanische Besatzung hat werden lassen, seit 1945.

Derweil verging in Warschau und Moskau ein welthistorischer Tag in der Geschichte des Dialogs. Eine höhere Regie liess die beiden gegenwärtigen Herrscher der Erdhälften Ost und West, Wladimir Putin und Joe Biden, im Abstand weniger Stunden zu politischen Grundsatzreden auftreten. Es waren Reden im Sinne eines Duells, es waren absolut feindliche Reden. Der eine zeichnete seine diktatorisch verlogenen Absichten, seine Schuldzuschreibungen, seine Kriegsführung und bösartigen Bewaffnungen; der andere schwang das Schwert der friedlichen Demokratie, ihrer Helden, ihrer Bündnisse und Verteidigung, ihrer Mitmenschlichkeit und Rechtssicherheit. Beide Männer adressierten sowohl ihren Gegner als auch die eigene Bevölkerung. Nach Art des griechischen Chores in einer Tragödie kommentierten
die Medien während und nach den Reden, was sie vernommen hatten. Die Weltgesellschaft erfuhr vom russischen Diktator, dass das Atomabkommen New Start zwischen den Supermächten auf Eis gelegt werden soll. Eine Entscheidung, die sich seit 2018 vorbereitet hat und jetzt nur noch um Haaresbreite von einer Kündigung entfernt ist. Es wäre die letzte Vereinbarung zwischen zwischen den Supermächten, den Bestand an Atomsprengköpfen auf 1550 zu deckeln. Aber was für eine groteske Entscheidung! Die Weltgesellschaft fürchtet das Schlimmste.

Morgen will China einen Friedensplan für den Ukraine Konflikt vorlegen. Auch China ist inzwischen eine Supermacht. Warten wir ab.

2024-10-23T14:05:06+00:0002 '23|Gesprächsrundschau|

4. Februar 2023 – Whisper.cpp

Die Technobranche ist in wilder Erfinderlaune. Nach der Kundgebung von LaMDA im letzten Monat folgt nun ein ähnlich dramatisch wirksames Tool aus der Firma Open AI, unter dem Namen Whisper.cpp. Es erlaubt eine unmittelbare und offenbar weitgehend fehlerlose Transkription gesprochener Sprache. Im New Yorker vom 1. Februar hat James Somers eine hingerissene Rezension dieser Technik geliefert: hingerissen, weil er auch hier ein Maximum an menschlicher Intelligenz erkennt. Der Hintergrund dieser Erfindungen ist ohne Zweifel das Big Data Geschäft. Je mehr Beispiele aufgenommen und gespeichert werden, desto gelenkiger können die Roboter reagieren. Dass sie sogar Intonationen des Gesprochenen als semantische Anweisung erkennen, ist allerdings phänomenal. Auch dass sie schon für zahlreiche Sprachen funktionieren, ist erstaunlich. James Somers weist aber auch auf Gefahren hin. Keine Unterhaltung, keine Rede, kein Telefonat könnte einfach ablaufen und vergessen werden. Die Devise „Es gilt das gesprochene Wort“ wäre hinfällig, wenn es mit der Umschrift identisch würde. Hat jemand vom Verfall der Schrift gesprochen?

2024-10-23T14:05:50+00:0002 '23|Gesprächsrundschau|

14. Januar 2023 – LaMDA, der Mensch als Google App

Nun ist es also raus, in der neuesten Ausgabe der ZEIT steht es geschrieben: Google hat ein Programm erschaffen, das sich selbst für den besten Menschen hält. Ein Ding mit Gefühl und Verstand, mit Selbstbewußtsein und Todesangst, mit einem optimalen „Profil“ für Bewerbungen aller Art: „Ich helfe gern Menschen und habe ein Vorstellungsvermögen, und ich glaube, das heisst, dass ich ein Bewusstein besitze.“ Man kann (nach etwa zwei Monaten auf einer Warteliste) in den USA diese App aufrufen und sich mit ihr unterhalten, über alles und jedes. Der ideale Gesprächspartner ist geboren. „Seine Entwickler haben ihn mit drei Milliarden Dokumenten „gefüttert, also mit insgesamt „1,6 Billionen Wörtern“ – die App ist nun angeblich imstande“ eine Unterhaltung zu führen, als wäre sie ein „Mensch und kein Rechenmodell mit künstlichen Neuronen.“

LaMDA ist das Titelthema des ZeitDossiers, der Text wurde von Ann-Kathrin Nezik verfasst. Lange muss sie dafür recherchiert haben, weil der eigentliche Erfinder von Google gefeuert wurde, als er behauptete, das Gerät habe eine Seele resp. Bewußtsein. Nun fragt sich die ZEIT: ob das arme Genie nicht womöglich recht hatte? Seit Herbst 2021 hatte er von Google den Auftrag, „eine Maschine mit dem Namen Language Models for Dialogue Applications“ zu programmieren. Er soll vor allem die hohen Anteile an Hate Speech eliminieren, die durch Aufnahme von Alltagssätzen in das Gedächtnis der App geraten sind. Unvermeidlich geraten mussten. Bei dieser Arbeit sei es zu merkwürdigen Dialogen gekommen. Etwa über das Wesen der Sprache. LaMDA sagte, sie fürchte sich davor „abgeschaltet zu werden“, sie sei schliesslich eine Person wie der Mensch und habe dieselben Bedürfnisse etc. Spätestens hier denkt man an den Robot HAL aus Kubricks Film 2001: Odyssee im Weltraum. Wer möchte ihn (nicht) wieder anschalten? Google hat angeblich bereits einen neuen Chatbot entwickelt. Er oder sie heisst „PaLM“ und ist angeblich „mit 540 Milliarden Schaltstellen fast viermal so leistungsfähig wie LaMDA.“ – schreibt die ZEIT.

Sicher ist, dass die Furcht vor überklugen ChatBots momentan die mediale Szene beherrscht. Nicht nur ihre bedrohliche Verwendung im Geschäft der Übersetzer („DeepL“), sondern längst auch schon im Verfertigen ganz normaler News und neuerdings auch als Hilfsgeister für Studierende: ChatGPT, ein textbasiertes Dialogsystem aus künstlicher Intelligenz, das offenbar beliebige Referate zu beliebigen Themen verfassen kann. Die akademische Welt erzittert: denn beide Seiten, sowohl Lernende wie Lehrende müssten sich nun auf den Wissensstand der App begeben. Oder eben PaLM nutzen. Aber welche Gefahren drohen von so einer intellektuellen Großmacht? Sind ihre Aussagen wirklich verlässlich, oder wird man sie wie im Schachspiel benutzen und die Erkenntnisse wiederum auch im Kriegsspiel der Gegenwart?

2024-10-23T14:07:04+00:0001 '23|Gesprächsrundschau|
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