Gesichtsrundschau

30. Oktober 2021 – Facebook adé – Meta ante portas

Seit dem letzten Eintrag am 6. Oktober verging viel Zeit – und die Aktivität der Whistleblowerin Frances Haugen hat gewirkt. Sie hat Facebook zu Fall gebracht. Unglaublich. Erleben wir gerade das Ende einer Epoche? Mark Zuckerberg kündigt jedenfalls eine dramatische Zäsur für Facebook an. Aus dem „Gesichtsbuch“ wird ein „Jenseits“buch. Statt „Facebook“ heisst das Unternehmen jetzt „Meta“. Oder „Meta-Versum“ – statt „Uni-Versum“.

Die Öffentlichkeit hat das Unheimliche daran noch nicht ganz erfasst. Unheimlich ist der Größenwahn bei alldem. Unheimlich ist aber auch die neue Geschäftsidee dahinter. User sollen demnächst mit virtueller Realität versorgt werden, mit Brillen, die ihre Träger in andere Welten versetzen. Man soll Inhalte nicht mehr betrachten oder lesen, sondern in Inhalte einsteigen. Was soll damit gemeint sein? Für deutsche User bietet „Meta-Verse“ rein sprachlich etwas altbekanntes, nämlich das, was auf deutsch „Zweites Gesicht“ heisst, also Visionen evoziert. Hellseherei, „zweite Gesichter“, wurden in Europa Ende des 19. Jahrhunderts zur Modeerscheinung. Im Umfeld der Psychoanalyse, der Hypnose, der Theosophie, gab es Geistererscheinungen, Jenseitswelten, die schliesslich zu Kunst und Weltanschauung gerinnen konnten. Hilma af Klint, die schwedische Malerin, schuf hunderte von Gemälden nach ihren Visionen; Rudolf Steiner, ihr Prediger, stiftete dazu die „Anthroposophie“: Weisheitslehre des Menschseins. Dieser Lehre folgt die Partei der Grünen seit langem; mit ihr bekämpft sie das „Anthropozän“: = die Epoche höllischer Unweisheit im Handeln der Menschheit. Ab morgen tagt im schottischen Glasgow die große Klimakonferenz, deren Ergebnis über das Fortleben unserer Spezies entscheiden soll. Hat Zuckerberg seine Bekanntmachung passend dazu datiert?

2024-10-22T23:39:45+00:0011 '21|Gesichtsrundschau|

6. November 2021 – Sprechende Pferde, „Viehsiognomik“

Heute sprach Clemens Setz, der diesjährige Büchnerpreisträger, denkwürdig über Büchners „Woyzeck“ von 1836, genauer: über das Pferd des Marktschreiers in der Szene „Bude. Lichter. Volk.“. Den Auftritt sollte man original lesen. Der Marktschreier gibt Unterricht in animalischer „Viehsiognomik“. Er unterrichtet sein Pferd im Rechnen, ergo im Denken. Er zeigt den Zuschauern: Das Tier ist „ein verwandelter Mensch“. Aus dieser Szene entwickelt Setz seine Rede. Umstandslos kommt er auf den Nachfahren des Marktschreiers, auf den bekannten Tierpsychologen der Jahrhundertwende, Karl Krall. Krall kaufte den berühmten „klugen Hans“, das rechnende Pferd, dazu noch zwei arabische Vollblüter und widmete sich dem Dialog mit der Kreatur. Die Tiere lernten nicht nur rechnen, sondern sprechen, nach Art eines Morse-Alphabets. Setz artikulierte die Wörter hingebungsvoll, vor allem auch die „Äusserungen“ der beiden Araber.

Krall wurde europaweit bekannt. Er schrieb ein Kapitel der Populärwissenschaft, die Intellektuellen suchten ihn auf. Doch 1916 musste er die Pferde an das Heer abliefern. Was aus ihnen wurde, ist nicht bekannt. Doch in den 1960er Jahren begann in den USA das große Experiment mit Menschenaffen, vor allem dem Schimpansenmädchen „Washoe“. Die Verhaltensforschung reagierte begeistert, als es gelang, mittels Gebärdensprache einen Dialog mit dem Tier herzustellen. Gegner des Experiments meldeten sich natürlich auch – zuletzt sogar der bekannte Autor TC Boyle, der nur Tierquälerei in der Fragestellung entdecken will. Clemens Setz dagegen sieht die Liebe zur Kreatur.

2024-10-22T23:39:52+00:0011 '21|Gesichtsrundschau|

6. Oktober 2021 – Facebook Super Gau

Seit gestern taumelt die größte Internetfirma, das „Gesichtsbuch“ unserer Epoche, auf einen Abgrund zu. Eine Mitarbeiterin namens Frances Haugen hat nach zweijähriger Anstellung gekündigt, tausende von Unterlagen mitgenommen und der Öffentlichkeit übergeben. David gegen Goliath: ist kein Vergleich. Dieser David ist weiblich , Harvardabsolventin und entschlossene Aktivistin für eine bessere Welt. Vor dem Kongress sagte sie gestern: „Die Dokumente, die ich weitergegeben habe, beweisen, dass Facebook uns wiederholt darüber getäuscht hat, was seine interne Forschung über die Sicherheit von Kindern, seine Rolle bei der Verbreitung von Hetze und polarisierenden Botschaften und so viele andere Dinge enthüllt.“ FAZ von heute.

Die Zeitung bringt auch ein interessantes Interview mit ihrem Anwalt John Tye. Dieser Anwalt hat seit 2016 die Verteidigung von whistleblowern zum Geschäft gemacht. Er hofft auf Belohnungen, die er mit den Aktivisten teilen könnte, hat aber nach eigener Aussage bisher nicht wirklich damit reussiert.

Die erste Wirkung der Anhörung gestern war stundenlanger Ausfall nicht nur von Facebook sondern auch Whatsapp und Instagramm. Angeblich war es ein technischer Fehler, dessen Korrektur stundenlan dauerte. Man könnte auch denken: in Silicon Valley wurden fieberhaft belastende Unterlagen gelöscht. Tausende von Kunden haben inzwischen Facebook verlassen.

2024-10-22T23:39:57+00:0010 '21|Gesichtsrundschau|

22. September 2021 – Erschiessung wegen Maske

Seit vorgestern entsetzt sich die deutsche Dialogwelt über einen Vorgang in Idar-Oberstein, Rheinland-Pfalz, von Malu-Dreyer regiert. Als hätte es in ihrem Land mit der apokalyptischen Überschwemmung im Frühjahr nicht genug Unheil gegeben, erschoß jetzt ein 49jähriger Mann einen 20jährigen Tankstellen-Kassierer (Student), weil dieser ihn zum Tragen einer Maske anhielt. Es war keine Affekttat – vielmehr fuhr der Mann nach einem ersten Streit nachhause, holte eine Pistole, kehrte zurück und verwickelte den Kassierer erneut in einen Wortwechsel über das Maskentragen – um dann zu schiessen. Der Dialog mündete ins tödliche Duell. Noch weiss man zu wenig über den Täter in U-Haft. Angeblich wollte er „ein Zeichen gegen die Corona Politik“ setzen. Ein Zeichen? Nein, Rache eines Querdenkers. Querdenker sind verkappt suizidale Lemminge. Jetzt aber doch in Aufruhr, denn man wird ihnen keinen Verdienstausfall mehr bezahlen – sie könnten sich ja impfen lassen.

2024-10-22T23:40:02+00:0009 '21|Gesichtsrundschau|

6. September 2021 – Deep Fake

Vom Neandertal zum Silicon Tal: die SZ berichtet heute von der albtraumartigen Fazial-Technik namens „Deep Fake“. Die HochleistungsHardware einer Firma namens NVidia vermag Menschen derart täuschend echt nachzubilden, dass selbst nahe Menschen die Fälschung nicht bemerken. Die Folgen sind abgründig. Man könnte Personen in Kontexten auftreten lassen, die sie nie erlebt oder erstrebt haben. Man könnte ihren Leumund ruinieren, ihre Arbeit vernichten. Selbst Stimmen lassen sich inzwischen täuschend echt nachahmen – das Todesurteil etwa für Synchronsprecher. Den höllischen Gipfel bildet momentan offenbar eine Firma namens „Hour One“, die Menschen dazu animiert, ihre Gesichter mit Copyright zu verkaufen. Man muss dafür nur einer Aufnahme zustimmen. „Wenn man die resultierenden Daten in eine KI-Software einspeist, kann die Firma daraus eine schier endlose Menge an Videomaterial erzeugen, in dem die entsprechende Person in jeder beliebigen Sprache sagt, was sie will.“ Eine Goldgrube der Werbeindustrie – und ein Lohnverhältnis des Verkäufers mit sich selbst. Brutaler lässt sich das Ende des Selfie-Taumels nicht inszenieren.

2024-10-22T23:40:06+00:0009 '21|Gesichtsrundschau|

4. September 2021 – Mrs. Ples, Alter 2,1 Mio Jahre

Das vorzüglich renovierte Bonner Landesmuseum beherbergt nicht nur den ersten Neandertaler, gefunden 1856 in der Nähe von Düsseldorf. Seit 1877 steht er im Raum, inzwischen rekonstruiert mit ziemlich menschlichen Zügen, nicht zu wulstigen Augenbrauen, nicht zu dicken Lippen oder vorstehendem Kinn. Der Fund entfesselte seinerzeit bekanntlich einen Sturm der Entrüstung. Das sollte eine Spielart des homo sapiens sein, sogar sein Vorfahre? Der damals berühmteste deutsche Mediziner, Rudolf Virchow, bestritt es fanatisch. Er hatte damals gerade zusammen mit Heinrich Schliemann Skelette in Troja ausgegraben, also aus dem 2. Jahrtausend v.Ch., – und überlegt, ob diese alten Griechen nicht eigentlich Germanen wären. Die Rassenkunde war längst zur Elitenkunde geworden. Ein Affe konnte unmöglich im Stammbaum stehen.

Das Landesmuseum beherbergt aber noch ganz andere Vorfahren, wie etwa Mrs. Ples – ein Spitzname für den „Plesianthropos“, ein vielleicht weiblicher Schädel mit dem geschätzten Alter von ca. 2 Mio Jahren. Vergleicht man sie mit andern vormenschlichen Köpfen in dieser Sammlung, so fallen die starken Kinnpartien auf. Sie verraten die Pflanzenfresser, die starke Muskeln brauchten, um Gras und Blätter stundenlang zu kauen. Wer das Weltgesicht unter der Maske von heute betrachtet, könnte die Wiederkehr dieser Kinnpartie im Profil erkennen. Die Menschheit im Rückbau?

2024-10-22T23:40:11+00:0009 '21|Gesichtsrundschau|

27. August 2021 – Und wieder Burka und Turban

Seit einer Woche tobt ein politischer Sturm um den Abzug der US Truppen aus Afghanistan. Präsident Biden musste und wollte den Prozess abschliessen, den sein Vorgänger Trump im Februar 2020 eröffnet hat. Eine Abmachung mit den Taliban, ohne Beteiligung der afghanischen Regierung. Eine Entmachtung zudem, die den Taliban freie Hand im Umgang mit den tausenden von Kollaborateuren der NATO gab. Welche Generäle waren damals beteiligt, welche sind noch unter Biden im Amt, welche sind Republikaner? Ihnen allen – wie der ganzen GOP – kann das Schlingern des demokratischen Präsidenten nur recht sein. So auch den Freunden der verhüllten Köpfe und Gesichter. Burka wird wieder Frauen- , Turban wieder Männerpflicht in Afghanistan. Zu schweigen von der Rückkehr der Frauen ins Mittelalter, vom Ikonoklasmus und Musikverbot. Wer weiss, wieviele Attentäter in den letzten Tagen in Nato- Länder ausgeflogen wurden – in größter Hetze. Wurden die 40tausend geretteten Personen gebührend untersucht? Ihre Auffanglager werden unter Joe Biden jedenfalls nicht Guantanamo heissen.

2024-10-22T23:40:20+00:0008 '21|Gesichtsrundschau|

15. August 2021 – Das böse Weltgesicht

Es musste ja kommen, die Beobachtung der maskierten Weltgesichter durch die Neue Zürcher Zeitung. Nun also durfte hier der prominente Peter Weibel aus Karlsruhe eine Ausstellung kommentieren, „Antlitze“ heisst sie, stammt vom deutschen Künstler Jürgen Klauke und zeigt montiert alle möglichen Gesichtsverhüllungen im Kachelmuster. Welch groteske Anlage, wenn man dahinter die Kachelmuster der gegenwärtigen Zoom-Konferenzen erkennt, mit der sich die Weltgesellschaft ja gerade eben vor Corona rettet. Grotesk daher auch die Schlagzeile der Zeitung: „Das menschliche Gesicht ist in der Krise. Denn mit der Pandemie hat sich die gesichtslose Gesellschaft ausgebreitet, die uns zu virtuellen Verbrechern macht.“ Welche Macht bis zum tiefsten Unsinn haben Schlagzeilenredakteure in Zeitungen? Plötzlich merkt man, wie wohltuend die neue Podcast Kultur doch ist. Sauber artikulierende Stimmen – kein Gebrüll.

2024-10-22T23:40:29+00:0008 '21|Gesichtsrundschau|

4. August 2021 – Helmut Plessner, Philosoph des Leibes

Schon oft konstatiert und fortwährend erlebt wird der zeitgenössische Trend zur Quantifizierung des Daseins. Alles und jedes wird heutzutage in Zahlen gespiegelt und damit eigentümlich vernichtet, mindestens entseelt. Rekorde ebenso wie Katastrophen liefern einen neutralen Mehrwert der Zählbarkeit, die wiederum eine trügerische Aufsicht auf unser Leben schafft, eine Hierarchie zwischen Maximum und Minimum. Das Gegenteil dieser Perspektive hat Oswald Spengler als „Physiognomik“ bezeichnet, als Wahrnehmung von Gestalten in Raum und Zeit. Epochen, Länder, Ereignisse haben demnach „Gesichter“ – irreduzibel in ihrer Einmaligkeit, so wie Namen irreduzibel zur Einzelperson gehören. Oder zu einer Handelsmarke. Oder zu einem Adelsgeschlecht. Oder zu einem Sternbild. Und so fort. Namen und Gesichter sind nicht quantifizierbar, bleiben hartnäckig Qualität.

Man könnte auch an den Hype der modernen „Singularitäten“ erinnern, eine Begriffsfindung des Soziologen Reckwitz, aber Welten liegen zwischen Spenglers Weltgesicht und den Singularitäten mit Facebook. Beide Denker sind gleichweit von einem dritten entfernt: Philosophen Helmut Plessner, einer der eindringlichsten „Gesichtsphilosophen“ des 20 Jahrhunderts. Und warum? Weil er das Gesicht nicht als Markenzeichen behandelte, sondern als Organ. 1941, also vor achtzig Jahren, erschien seine bahnbrechende Studie über „Lachen und Weinen“ mit dem Untertitel „Eine Untersuchung der Grenzen des menschlichen Verhaltens“.

2024-10-22T23:40:34+00:0008 '21|Gesichtsrundschau|

7. Juli 2021 – Gesichtsvergesslichkeit

In der FAZ erfahren wir von den neuesten Forschungen zur grassierenden Vergesslichkeit im Alter, der sogenannten Gesichtsblindheit. Joachim Müller-Jung schreibt: „Jeder Fünfzigste erkennt andere Menschen überhaupt nur mit Mühe oder gar nicht. Prosopagnosie heisst das im Medizinjargon …“ Dabei gelingt Wiedererkennen doch mehrheitlich. In der älteren Forschung sprach man von „Großmutter-Neuronen“, die jetzt auch im Hirn gefunden wurden, „tief unten im Schläfenlappen bei Experimenten mit Rhesusaffen…“ Man entdeckte ein vielversprechendes Areal, „das auf vertraute Gesichter extrem schnell reagiert. … Speist sich die Erinnerung an das Gesicht zudem noch aus einer leibhaftigen Begegnung, feuert dieser Nervenverbund sogar dreimal so stark wie nach Ansicht virtueller Gesichter auf dem Bildschirm.“ Genau das haben wir alle ja immer vermutet. In diesen Tagen wird auch über die enormen Defizite der Schulkinder berichtet, die nun ein Jahr oder länger digital unterrichtet wurden. Bis zu 40% Lernverluste werden beschrieben.

2024-10-22T23:41:07+00:0007 '21|Gesichtsrundschau|
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