Soeben erschienen ist ein Tagungsband aus Lausanne über „Physiognomisches Schreiben. Stilistik, Rhetorik und Poetik einer gestaltdeutenden Kulturtechnik“, hg. von Hans- Georg von Arburg, Benedikt Tremp und Elias Zimmermann. Es ist ein Band aus der Reihe „Das unsichere Wissen der Literatur“ (Rombach in Freiburg i.Br.), die hier nun also den Topos des ungefähren und trügerischen Wissens aufnimmt, den wir mit der physischen Wahrnehmung assoziieren müssen. Das weitgespannte Themenfeld reicht von Lavater bis zu Kafka, von Handschriften- über Architektur – Tanz- und Stimmdeutung. Dass bei einer Publikation aus der Schweiz wieder der Terminus „physiognomisch“ in einem neutralen Sinne verwendet

wird, ist zu begrüßen. Er hat bekanntlich eine enorme Begriffsgeschichte hinter sich und es ist töricht, ihn zu vermeiden, wie im neuen Heft der Zeitschrift Fotogeschichte (140, Jg.36), zumal wenn dort Forschungen zur Charakterdeutung in den 1930er Jahren vorgestellt werden. Tatsächlich wird in diesem Wintersemester 2016/17 auch in Berlin eine ganze Ringvorlesung über Physiognomik in der Antike durchgeführt: ein inzwischen gut beforschtes Gebiet, das aber immer noch weitere Präzisierungen im orientalischen Bereich verlangt.

Wie dicht der physische und der metaphorische Begriff des Gesichts aneinander gefesselt bleiben, kann man am Management von Facebook verfolgen. Die dringende Bitte, auf Facebook keinen gesichtszerstörenden hate speech zuzulassen, entspricht dem Bewußtsein einer nahen Beziehung. Dass es gleichwohl keine identische ist, musste man jüngst in der Diskussion um die Burka immer wieder verteidigen. „Gesicht zeigen“: so hiess eine Bewegung, die im Jahr 2002 von Uwe Carsten Heye, einem hochrangigen Politiker der SPD, ins Leben gerufen wurde. „Gesicht zeigen“ sollte man gegen Rassismus und Antisemitismus – im Sinne von moralischer Standfestigkeit gegen beides. Von einer Nudität war keine Rede. Die Burkafeinde, die nur noch nackte Gesichter sehen wollen, haben den Satz in sein Gegenteil verkehrt, zur allgemeinen Konfusion.