In der FAZ vom 8. Mai 2016 erschien ein langer Artikel von Friederike Haupt: „Middelhoffs Lächeln. Was Journalisten in einem Gesicht lesen können. Oder wollen.“ Der Artikel bot ein wunderbares Beispiel für die dauerhafte Dienlichkeit physiognomischen Raisonnierens. Der ungeheure Sturz des einstigen Chefs von Bertelsmann zum Assistenten einer
Behindertenwerkstatt in Bethel, geschildert am Leitfaden seines Siegerlächelns, das schliesslich aber doch in den letzten Krankheitszuständen verschwand. Der Sozialphilosoph und Anthropologe Helmut Plessner hat dem Lächeln 1950 eine eindringliche Studie gewidmet und diese mimische Kundgabe zu den eigentlich menschlichen gezählt, eben weil es so unendlich vieldeutig ist.Es ist die Miene eines „Mängelwesens“, um Arnold Gehlen zu zitieren. Wie anders hat das noch Charles Darwin gesehen. Er fand das eigentlich humane Mienenspiel im Erröten: denn nur der kommunikative und schambereite Mensch kann sein Gegenüber wissen lassen, dass er weiss, was dieser von ihm denken könnte, ohne es zu sagen. Stellvertretend für eine ganze Klasse der sozialen Schichtung kannte Herr Middelhoff diese Miene offensichtlich nicht und strafte dergestalt Darwins Naturgesetz leider Lügen.
Zwei andere Artikel aus diesem Frühsommer lassen die technischen Wege der Gesichtserkennung erkennen. Die Münchner Messe namens „Automatica“ hat die bestürzend weit gediehene Roboter Industrie vorgeführt: Demnach sollen alle möglichen Maschinen „Augen“ erhalten, mit denen sie erkennen können, ob Menschen in gefährliche Nähe kommen, oder wie man sich sicher durch bestimmte Fertigungsstraßen bewegt. 58 Prozent der deutschen Unternehmen haben mit intelligenten Maschinen gute Erfahrungen gemacht; 86 Prozent erwarten weitere Verbesserungen. Die Roboter Generation 4.0 hilft schon in den Altenheimen Menschen tragen. Wenn sie erst Augen haben, wird es eine atemberaubende Kommunikation geben. – Umgekehrt haben russische Tüftler jetzt eine handliche Technik der absolut einseitigen Überwachung erfunden, eine App namens „FindFace“, die es erlaubt, auf allen Fotos Gesichter den sonstwo notierten Biodaten zuzuordnen.
Bemerkenswert ist auch die neue Ausgabe der Zeitschrift Fotogeschichte. Heft 140 /2016 hat zum Thema Psychologie und Fotografie einen Aufsatz von Beatriz Pichel „Die Psychologie des Lächelns bei Georges Dumas.“ Alle Artikel des Heftes befassen sich mit Themen der älteren Physiognomik, verwenden aber den Terminus nicht mehr, nicht einmal in der Einleitung. Das ist schade, denn so wird der gewaltige Unter- und Überbau dieser Forschungen nicht mehr erkenntlich. Will man das – und wenn ja, warum?