Hat sich etwas verändert seit dem letzten Eintrag vor vier Wochen? Die Ukraine wird weiterhin beschossen, Menschen sterben und flüchten weiterhin, die Regierungen der westlichen Länder bemühen sich weiter um Waffenlieferungen und Flüchtlingsschutz. Und doch wurde ein neues Kapitel eröffnet. Die Ängste des Westens, besonders der Deutschen, steigen massiv durch die gasförmigen Erpressungen, mit denen Putin inzwischen operiert. (Sicher mit einem zynischen Seitenblick auf die Rolle des Gases im Zweiten WK). Zwar hat seit dem 21. Juli die Firma Gazprom die ersehnten Lieferungen durch Northstream 1 wieder aufgenommen, aber sofort wieder reduziert – angeblich, weil eine Turbine der Firma Siemens nicht funktioniert. Nun gibt es nur noch 20% der vereinbarten Menge. Unser Wirtschaftsminister Habeck muss die Bevölkerung anflehen, sparsam zu werden. Strom und Gas könnten demnächst rationiert werden, während die Inflation steigt und die hehren Ziele der Klimawende zerplatzen wie kindische Illusionen. Kohleförderung und Atomkraft kehren zurück; welch eine bittere Paradoxie, dass wir saubere und kühlere Luft nur mit ewigen Giftrückständen erkaufen können. Mit Recht bäumt sich die nächste Generation auf. Wird sie ihrerseits Kinder haben wollen, können, dürfen?

Vor ein paar Tagen wurden die 51. Römerberggespräche aus Frankfurt am Main vom April im Radio noch einmal rekapituliert. „Nie wieder Frieden?“ hiessen sie: „Der Ukrainekrieg und die neue Welt-Unordnung“. Gewichtige und erfahrene Teilnehmer hatte man eingeladen; das Gespräch begann mit dem erschrockenen Fazit von Karl Schlögel, der seine Generation – also auch sich selbst – des falschen Pazifismus beschuldigte; und es endete mit dem Referat von Nicole Deitelhoff, Leiterin des Hessischen Instituts für Friedens-und Konfliktforschung. Sie brachte bedenkenswerte Differenzierungen vor. Die Ohnmacht des Westens, der sich nicht in einen Krieg verwickeln will, aber doch immer mehr kriegswichtige Handlungen begeht, stammt, sagte Deitelhoff, aus den gefährlich „asymmetrischen Interdependenzen“ wie den einseitigen Abhängigkeiten der Nationen von Gas oder Kohle oder „seltenen Erden“. Deitelhoff liess erkennen, dass man unbedingt „Wandel durch Handel“ betreiben und erreichen müsse – aber eben durch richtigen , symmetrischen Handel, durch wahre Verflechtungen, die es keinem einzelnen Partner erlauben, unbeschadet auszusteigen. Genauer wurde sie nicht, denn noch kannte sie im April den neuesten Schachzug nicht. Putin zeigte sich vor wenigen Tagen einverstanden, die Getreidelieferungen der Brüderstaaten Russland und Ukraine wieder aufzunehmen. Auch Russland ist auf Einkünfte angewiesen, die ihm ja aus dem Gashandel fehlen. Ein Vertrag unter Aufsicht des türkischen Präsidenten Erdogan wurde unterzeichnet. Die Ukraine versprach, die Minen aus dem Hafen zu bergen, Russland versprach, Transportschiffe nicht anzugreifen. Tags darauf beschoss es ein Munitionslager in Odessa. Gleichzeitig wurde bekannt, dass Russland 2024 aus dem Programm der Weltraumstation ISS aussteigen wird. Wo bleibt die Verflechtung?