Wie mit einem Ruck zeugen zwei Nachrichten vom Ende des angeblich verlässlich menschlichen Gesichts. Die eine handelt vom Videogespräch der Regierenden Bürgermeisterin Giffey mit einem Mann namens Vitalo Klitschko, bekannt als Bürgermeister von Kiew. Erst nach einer Weile fielen ihr Ungereimtheiten auf, er sprach Russisch, obgleich er das Deutsche beherrscht, und er fragte nach Ukrainern, die sich angeblich in deutsche Sozialsysteme einschlichen. Es handelte sich um ein Deep Fake. Die FAZ schreibt: “ Bei diesem Videogespräch war ein eher winterlich gekleideter Klitschko zu sehen. Offenbar verwendeten die Betrüger Bilder oder Videoabschnitte, die aus dem April stammen könnten, und animierten das Material mithilfe eines ComputerProgramms neu. „Giffey sagte dem RBB, selbst Profis könnten nicht unterscheiden, ob sie mit der echten Person sprechen oder mit einem Fake. „Ich habe in hoher Auflösung das Gesicht von Vitali Klitschko gesehen, auch Gestik und Mimik waren da.“

Die zweite Nachricht stammt aus einem langen Artikel der polnischen Nobelpreisträgerin Olga Tokarczuk. Erschienen in der amerikanischen Zeitschrift „Words Without Borders“, handelt er von der biomentalen Weltlage, die sie mit einem neuen Begriff beschreiben will: „Ognosia“. Demnach übernimmt das Prinzip Komplexität auf allen Ebenen des Lebens die Führung. „Es verändert sich durch die Klimakrise, die Epidemie, die Entdeckung der Grenzen wirtschaftlicher Entwicklung, aber auch durch unsere neuen Reflexionen im Spiegel: das Bild des weissen Mannes , des Eroberers im Anzug oder mit Safarihelm verblasst und verschwindet, an seiner Stelle sehen wir Gesichter, ähnlich wie sie Giuseppe Arcimboldo malte – organisch, hochkomplex, unverständlich und hybrid. Gesichter, die eine Synthese aus biologischen Zusammenhängen, Anleihen und Referenzen sind. Heute sind wir weniger ein Biont als vielmehr ein Holobiont, das heisst, eine Gruppe verschiedener Organismen, die in Symbiose zusammenleben.“ Betroffen davon sei vor allem das Modell der Heterosexualität. Das menschliche Geschlecht, schreibt Tokarczek, gleiche inzwischen eher einem „Kontinuum mit einer Bandbreite an Merkmalen […] als dem alten polaren Antagonismus mit den zwei Geschlechtern. Jeder kann hier seinen einzigartigen und eigenen Platz finden. Was für eine Erleichterung!“