Das anhaltende Sterben des humanen Dialogs spielt sich weiterhin auf mehreren Ebenen ab. Die technische wurde soeben von Elon Musk, dem verrückten Freak unter den Milliardären, bespielt: durch den Kauf von Twitter, durch die Öffnung von Twitter für die amerikanische Meinungsfreiheit, vulgo Zulassung von Trump, den man doch vor Jahren ausgesperrt hatte, um nicht unversehens irgendwelche Kriegserklärungen mit Regierungsmacht lesen zu müssen. Dass eine zivilisierte Nation wie die USA sich überhaupt jemals gefallen liess, nächtens mit präsidialen Getwitter behelligt zu werden, bleibt ein Rätsel. Es war richtig, dem Präsidenten dieses social medium zu sperren, und es zeugt von maximalem Populismus, es wieder für ihn zu öffnen. Immerhin hat er diese Rückkehr abgelehnt. Dass Twitter ohnehin nur ein Sterbestadium bedeutet, hat unlängst auch der Bielefelder Soziologe Armin Nassehi beschrieben: „Es sieht in der Kommunikation so aus, als setze man etwas in die Welt und bekomme darauf Antwort. Oder man antwortet selbst, und es sieht aus wie ein Zwiegespräch. Aber es sieht nur so aus, denn jegliche Form der Kommunikation auf Twitter lebt davon, dass es stets einen dritten Adressaten gibt, die Beobachterposition: Man sieht den andern beim Zusehen zu. Man beobachtet Beobachtungen.“
Passend dazu gibt es auch auf der literarischen Ebene eine neue Sterbeszene. Helmut Lethen, der deutsche Beobachter der (spanischen) „Verhaltenslehre der Kälte“, hat konsequent die jesuitische Szene des 16. Jahrhunderts dahinter studiert: in Gestalt der Parabel vom Großinquisitor, aus Dostojewskys Roman Die Dämonen von 1873. Die Geschichte handelt von einer Massenhinrichtung von Häretikern vor einem massenhaften Publikum; plötzlich erscheint ein Fremder, geht lächelnd hindurch und man erkennt den auferstandenen Jesus in ihm. Der Inquisitor lässt ihn vor sich bringen. In einem langen Gespräch erklärt er ihm, dass die Kirche ohne ihn weitaus besser existiert als mit ihm, nämlich im Pakt mit dem Teufel, und dass man ihn hinrichten werde. Jesus schweigt zu allem, aber bevor er hinausgeführt wird, küsst er seinen Mörder auf die dünnen Lippen. Handelt es sich um ein Gespräch? Lethen sagt nein, der Inquisitor monologisiert, er weiss gar nicht, was ein Dialog ist. Erst der Jesuskuss qualifiziert ihn dialogisch als unerhörte Antwort – symbolisch revers auch auf den Judaskuss des Neuen Testaments. Was hat die politische Geschichte Russlands damit zu tun?