Francis Bacons Porträts, 55 an der Zahl, ausgestellt in London: das ist seit November letzten Jahres ein faziales Ereignis in der National Portrait Gallery. Wo auch sonst. Die Schau „Human Presence“ – bis 19. Januar 2025 – erhielt u.a. eine knappe Besprechung im Guardian und eine sehr ausführliche von der Nachlassverwaltung. Hier wird Kuratorin Rosie Brodley gelobt für Auswahl und Anordnung, besonders im Namen der „literalness“, als sei buchstäbliches Erkennen der dargestellten Personen ihr Markenzeichen. Nein, sagt der Guardian, niemand ist hier erkennbar ausser Bacon selber. Alle Körperlichkeit fluktuiert im Gehege einer leidenden Geschöpflichkeit, Mensch und Tier und RangObjekt ununterscheidbar. Bacons berühmtes erstes Tryptichon von 1944 hat ohnehin nichts mit christlicher Ikonographie zu tun. Es soll griechische Racheengel zeigen, Eumeniden mit aufgerissenem Maul. Der hilfeschreiende Mund blieb ein grelles Motiv in Bacons späterem Werk, besonders der Papstdarstellung.
Gesichtliche Kollektionen wie diese sind seit Rembrandt ein eigenes Format der Kunstgeschichte. Immer wieder erschufen Künstler und präsentierten Institute des Kunsthandels faziale Sammelwerke von Fremd- und Selbstporträts. Neben den Kunsthandel trat die Wissenschaft. Eine erste Mode entstand in der Frühzeit der Physiognomik beim schweizerischen Pfarrer Johann Kaspar Lavater; im 19. Jahrhundert, inspiriert von Charles Darwin, entstanden kriminalistische Tafeln mit Geisteskranken oder Verbrechern. Mehr und mehr einigte man sich auf die „Literalness“ der Gesichtsaussage. Das Innere kehrt sich angeblich im Gesicht nach außen. Nichts einfacher, als Verbrecher oder Verrückte am Gesicht zu erkennen. Den dämonischen Höhepunkt dieser Obsession, noch verstärkt im Kino, bildeten rassistische Entgleisungen seit dem 20. Jahrhunderts, weltweit.
Und heute? Erst gab es facebook, als Medium der Selbstdarstellung, als „Teilung“ von Status. Dann schlug das Selfie alle fremdgesichtigen Formate aus dem Feld, durch die egomane Technologie der handys. Selfies wollen Status und Schönheit, und sei als fake. Aber daneben grassiert eben seit Jahrhunderten auch eine immer schärfere staatliche Face detection. Das Passbild eben. „Literalness“ im Dienst der Kriminalistik. In diesem fazialen techno-Tryptichon wirken Bacons Gesichter wie Hilferufe der Natur selber. Weil sie unsere unberechenbare Mimik als Fleisch erkennen lassen.