Anfang Juli 2020 unterhielten sich zwei Mitglieder der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung über das Wort „Gesichtsmaske“: der Jurist Michael Stolleis und die Autorin und Dichterin Ursula Krechel. Die Anregung zu diesem und einigen weiteren „CoronaDialogen“ stammte aus dem Deutschen Wörterbuch, wo seit Juni ein eigenes Kapitel zum Wortschatz der Corona Epoche eröffnet wurde. Im Newsletter des Instituts für Deutsche Sprache IDS hieß es dazu: „Technische Innovationen, historische Ereignisse, sich wandelnde gesellschaftliche Gegebenheiten oder politische Neuerungen – für eine funktionierende Verständigung muss sich der Wortschatz ständig anpassen. Da kann es schnell passieren, dass man ein Wort hört oder liest, das man noch nicht kennt oder bei dem man sich unsicher ist, wie man es schreibt oder spricht.“
Nun also das wahrhaft neu verwendete und für diese meine Rundschau bedeutsame Wort „Gesichtsmaske“ – semantisch etwas redundant, da das Wort „Maske“ ja immer schon ausschließlich Gesichtsverhüllung – oder kosmetische Handlung – bedeutet hat. Folglich sprechen die beiden Akademie-Mitglieder viel über die Kulturgeschichte der Maske im Theater, bei festlichen Hofbällen, karnevelistischen Umzügen, und natürlich in der ärztlichen Geschichte der Pest seit dem 13. Jahrhundert. Nur dort, in den berüchtigten und furchterregenden Schnabelmasken der Pestdoktoren, hat die Maske eindeutige Funktionen: statt eine bekannte Person zu verfremden, wird hier die Person, der zuständige Arzt, übereindeutig gemacht – in seiner amtlichen Funktion. Das Gebilde schützte den Arzt vor Ansteckung und Gestank und ermöglichte zugleich das Zeigen der Geschwüre.
Die heute weltweit verlangte und benutzte „Schutzmaske“, wie man besser sagen sollte, trifft nun aber eben jetzt auf eine völlig neue Szene, geradezu einen Kulturkampf. Nicht nur entstand durch die Flüchtlingsbewegung um 2015 eine aggressiv neue Sicht auf die Schleierkultur der muslimischen Welt. Durften oder dürfen Musliminnen wirklich Niqab oder gar Burka tragen, dürfen sie in der christlichen Welt mit Kopftuch öffentliche Berufe ausüben? Der Streit ist nicht entschieden, immer wieder gibt es Prozesse. Auch gibt es seit 1985 ein Vermummungsverbot für Massenversammlungen und einzelne Situationen, wie etwa eine Vermummung vor Gericht.
Nun also, seit Anfang des Jahres 2020, gilt das Gegenteil: Vermummung von zwei Dritteln des Gesichts durch einen „Mund- und Nasenschutz“ wird staatlich gefordert und zwar weltweit und ganz besonders bei Massenversammlungen. Plötzlich sehen die Menschen weltweit einander seltsam ähnlich, ein „Weltmenschengesicht“ ist unversehens entstanden, während gleichzeitig eine Rassismusdiskussion wütet. Zufall? Plötzlich verstummen auch alle möglichen Raisonnements, die uns ein Leben mit verhülltem Gesicht aus antiislamischen Motiven als mörderische Feindestat erklärt haben. Niemand wollte damals erklären, warum die österreichische Gemeinde Bad Ischl immer schon zahllose gesichtsverhüllte Gäste aus arabischen Ländern geduldet hat – bis die finanziellen Erträge offenbar wurden.
Noch interessanter wird das neue Weltgesicht aber angesichts der politisch- technischen Entwicklungen, wie sie in vielen früheren Einträgen hier beschrieben wurden: das fieberhafte face detection development – im Dienst der verkehrs- aber auch moralpolitischen Überwachung. Nun müssen zahllose Ausnahmeregeln getroffen werden: maskenlos soll man im Auto hinter dem Steuer besser erkannt zu werden, vor Gericht und amtlichen Instanzen natürlich ebenfalls, aber Masken sollen im staatlichen Umgang, etwa Schulen, unbedingt gelten.
Manche BürgerInnen empfinden dies nun als Akt der undemokratischen Grundrechtsberaubung. Am 29. August gab es einen denkwürdigen Prozess dazu in Berlin: Heerscharen von Regierungsgegnern aus ganz Europa, aber besonders aus Stuttgart, wollten sich ohne Schutzmaske in der Hauptstadt treffen – die Richter mussten beraten, wie sie einer drohenden Saalschlacht mit möglichst gewaltfreier Polizeimacht entgegentreten wollten.