Gesprächsrundschau

1. Juni 2025 – Ex Cathedra sprechen

war früher eine Formel für Lehrer, dann auch Bischöfe und schliesslich für den Papst – und bedeutete: hier hat jemand das letztverbindliche, anzuerkennende Wort. Und zwar das Wort, welches zur erwünschten Handlung führt.  So ist nicht nur das Christentum, so sind sämtliche Religionen organisiert, um eine letzte Instanz herum, meist eine männliche, den Häuptling, oder wie man in USA neuerdings sagt: den Sheriff. Mit der neuzeitlichen Aufwertung der Wissenschaft ging diese Autorität mehr und mehr an die Universitäten und insbesondere an die Grundlagenforschung. Religiöse Weltdeutungen verloren Anerkennung, auch wenn die Priesterkaste der Schriftreligionen deren Texte für die Kirche erhalten wollen. Alte Gedanken können eben auch veralten.

Seit Wochen versucht der USA-Sheriff nicht nur alte Sätze der eigenen Verfassung zum Sprechen, sondern auch Sätze der Wissenschaft zum Schweigen zu bringen und damit die weltwissenschaftliche Autorität – das Sprechen und Denken ex cathedra vor allem aus der Universität Harvard, aber auch anderen akademischen Zentren . Der „common sense“, in dessen Namen Trump angetreten ist, soll wohl die Krone des Wissens bleiben. Es gibt nur zwei Geschlechter, hiess es in Trumps Einführungsrede, und es gibt eben „gesunden Menschenverstand“. Der wiederum verbietet eine Menge von Sätzen. Und viele von diesen Sätzen werden von der Kirche bisher ex cathedra beglaubigt.

Mr. Trump will sein Volk wohl zum kirchlichen Wort zurückführen: Die Kirchenoberen danken es ihm. Womöglich dankten sie ihm schon mit der Wahl des neuen amerikanischen Papstes Leo XIV? Danken werden dem Präsidenten jedenfalls auch die Herrschenden aus Israel, denn Trump begründet seine Zerstörung der Wissenschaft nicht nur mit Angriffen auf die Idee von Diversität, sondern auch mit angeblich antisemitischen Umtrieben an dieser und anderen US Universitäten.

Seit gestern gibt es nun eine Anweisung an US Botschaften, ab sofort keine Visa an internationale Studierende mehr zu erteilen, weil man deren social media auf unerlaubte Inhalte untersuchen wolle. Ist das rechtlich möglich? Hat das Recht im amerikanischen Denken überhaupt noch Autorität? Oder lernen wir eine neue tribale Organisation kennen?

2025-06-01T20:06:14+00:0006 '25|Gesprächsrundschau|

20. Mai 2025 – Die Umarmung

des Papstes durch den Bruder im Vatikan, entgegen allem Comment, disruptiv , wie man heute sagt: was für eine Geste! Man erkennt, dass der Dialog eine strukturelle Gratwanderung zwischen Himmel und Hölle ist: Hölle des Krieges, Himmel der Vereinigung, beidseitig verstummen die SprecherInnen, lassen stattdessen entweder Waffen oder immer leichtere Körper „sprechen“. Platons Parabel aus dem Dialog Phaidros , die Erzählung vom Wagenlenker mit den zwei Pferden – das eine strebt himmelwärts, das andere zum irdischen Schlamassel – kommt sofort in den Sinn der Bildungsbürger. Und zu eben diesen spricht die Umarmung, als  Geste zweier Brüder im Lande der fratelli d’italia. Unter dem Regime einer Frau namens Giorgia Meloni. Bruderschaft ist die geheime Devise auch aus den USA: BRO gilt dort als Regime-Signatur, unterweltliche Brothers spielen gerade die Hauptrolle im Drama der Disruption mit und durch Trump und Musk und Zuckerberg etc.  Wissen muss man, dass der umarmende Bruder ein Anhänger Trumps ist, wissen muss man, dass die Mafia ein italienisches Import-Export Unternehmen in Amerika ist und war, wissen muss man, dass Leo XIV. Frieden stiften will zwischen den Präsidenten Putin und Trump. Es könnte ein Frieden nicht zuletzt zwischen der Ost – und der Westkirche werden! Nur fromme Bürger können das wirklich ermessen . Was für eine Umarmung!

 

 

 

2025-05-20T10:20:43+00:0005 '25|Gesprächsrundschau|

17. Mai 2025 – Weiter Schach spielen

will der russische Präsident Putin erklärtermassen. Das politisch zuverlässigste deutschsprachige Medium asu der Schweiz namens journal 21, verfasst von welterfahrenen Journalisten , beschreibt den Stand der Dinge heute so:

Präsident Putin war es, der in der Nacht zum vergangenen Sonntag direkte ukrainisch-russische Gespräche in Istanbul vorgeschlagen hatte. Er liess jedoch offen, ob er selbst an den Bosporus reist. Der ukrainische Präsident Selenskyj sagte daraufhin, er werde nach Istanbul fahren und auf Putin warten. Das tat er, doch Putin kam nicht. Westliche Beobachter werten dies als «kleinen Sieg» Selenskyjs. Er habe damit – im Gegensatz zu Putin – gezeigt, dass er den Frieden wolle. Nachdem der Kreml-Chef nicht gekommen war, reiste Selenskyj wieder ab. Donald Trump sagte daraufhin, es werde sich nichts bewegen, solange er sich nicht mit Putin treffe.

Türkische Mediatoren schlugen daraufhin einen Austausch von Gefangenen vor, man einigte sich auf tausend Menschen. Immerhin, wenigstens eine Geste.

2025-05-17T12:25:37+00:0005 '25|Gesprächsrundschau|

14. Mai 2025 – Tödliche Dialoge

muss die Ukraine, muss der ukrainische Präsident Selenskyi über sich ergehen lassen. Zuletzt am 3. März mit Trump in Washington, nun, am 15. Mai angeblich in Istanbul. Warten will er hier auf den russischen Präsidenten Putin für ein entscheidendes „Gespräch“ über Frieden oder wenigstens Waffenpause in dieser blutrünstigen Auseinandersetzung um Rohstoffe und Rechtsförmigkeit. Zufällig findet sich auch Mr. Trump in der Nähe und will wohl als Friedensstifter dabei sein? Selbstsicher wie nie nach seinem soeben erfolgreichen Deal über eine halbe Milliarde Dollar Rüstungsverkäufe an Saudi Arabien. Gilt es dem Krieg gegen die Hamas? Sind es Investitionen in eine Gaza-Riviera des Orients?

Was tut man nicht alles, um ein Handelsdefizit zu beseitigen und sich gleichzeitig als Friedensstifter in die NobelpreisShortlist einzutragen. Deals sind im Horizont der dialogischen Menschennatur  unblutige Vereinbarungen,  schriftlich fixierbar in einer unsterblichen Kulturtechnik. Alles, was dann womöglich kriegstüchtig daraus folgt, gehört zum Kapitel der „sprechenden Waffen“ . Auch das Erheben von Zöllen gehört dazu. Nicht vergessen haben wir aber die frühen Ängste der Erfinder von ChatGPT, wonach dessen Kriegstüchtigkeit zu unkontrollierbaren, weil übereilten Aktivitäten  führen könnte. Widerlegt wurden die Ängste bisher nicht. Stattdessen räsonieren große und kleine Mächte (auch in Europa!)  soeben über neue Atompläne. Hat Donald Trump wirklich die letzte Kontrolle über Atomwaffen?

2025-05-14T14:10:40+00:0005 '25|Gesprächsrundschau|

6. Mai 2025 – Die Abstimmung: ist ein Sprechakt

und zwar ein Sprechakt erster Sorte, wenn auch stimmlos. Das Einwerfen eines ausgefüllten Wahlzettels gilt bei demokratischen Gesellschaften als „Stimm“-Abgabe, und dieser Akt, diese angekreuzten stimmlosen „Ja“ oder „Nein“ gelten als vollzogene Handlung. Es sind Antworten auf eine Frage, gehören also zu jenen Sprechakten, die nicht erst durch einen Vollzug vom Hörenden Geltung erlangen wie etwa ein Befehl, der sich verweigern lässt, sie gelten vielmehr per se bereits als solche. Vergleichbar etwa dem Segen Gottes oder einer pointierten Schlagzeile im Journalismus.
Wir erleben in Berlin gerade eine denkwürdige Abstimmung. Der lange angekündigte Friedrich Merz hat seine Wahl mit 316 Stimmen zunächst verloren, sechs Stimmen fehlten ihm. Unerhört in der Geschichte der Bundesrepublik. Nach eiligen Beratungen entschied man, eine vom Grundgesetz gedeckte zweite Wahl vorzuziehen. Sie gelang, und siehe, es gab nun 325  Ja-Stimmen. Welche unzufriedenen Abgeordneten hatten sich nun anders entschieden? Vermutlich Mitglieder der Regierungsparteien.

2025-05-06T18:31:08+00:0005 '25|Gesprächsrundschau|

26. April 2025 – Urbi et Orbi

Nur das abendländische Christentum hat so einen Segen für alle Welt, so einen Dialog des einen Gottes mit Stadt und Land, für 1,4 Milliarden Menschen unterschiedlichster Existenz. Annette Schavan, die ehemalige Vatikan Botschafterin unter Angela Merkel, sagte: das Weltchristentum ist die einzige Instanz gegen nationalistische Exaltationen. Alle 1,4 Milliarden glauben an denselben dreieinigen Gott, so unbegreiflich dieser auch ist, daher oft auch noch lieber an seine Mutter Maria, aber jedenfalls an den Sohn, seine Leiden, sein gewissliches Sterben und etwas ungewisses Auferstehen. Selbst eine so aufgeklärte Schriftstellerin wie Sibylle Lewitscharoff war sicher, dass es statt Nachtod eine irgendwie überraschende Reinkarnation geben werde.

Das alles dachte man noch vor sechs Tagen, als der argentinische Papst Franziskus mit letzter Kraft den Segen in alle Welt sprach und über den vieltausend Anhängern auf der Piazza aussendete. Einen Tag später war er selber tot, und die gigantische Ritualmaschine des Weltchristentums setzte sich in Bewegung. Der Papst wurde aufgebahrt, die Gläubigen konnten sekundenschnelle Blicke auf das Totengesicht werfen, und heute, sechs Tage nach dem Segen, und nach der letzten Messe, wurde der Leichnam im einfachen Holzsarg in die Lieblingskirche  Santa Maria Maggiore  geleitet und dort beigesetzt.

Währenddessen fanden Gespräche zwischen Politikern statt, eine Begegnung zwischen Trump und Selenskyj, ein Selfie von J.D. Vance mit Sohn in der Sixtinischen Kapelle, und die vorgeschriebenen Massnahmen zum Konklave, dem ultimativen Abstimmungsritual zur Bestimmung des Nachfolgers.  Der englische Hof hätte nichts besser machen können.

2025-04-26T14:36:05+00:0004 '25|Gesprächsrundschau|

17. April 2025 – Die Abrechnung

Gestern lief im 3sat TV zur besten Sendezeit der Film über den Cum/Ex Skandal, unter dem Titel „Systemfehler“. Mit den Begriffen Börsenhandel und Steuermoral erscheint noch eine weitere Hauptschlagader unserer dialogischen Verfassung aus Rede und Antwort, Befehl und Gehorsam, Anweisung und Durchführung. Sie funktioniert , weil und solange es eine Rechts-Sprechung gibt. Verhandelt wird bei Cum/Ex Handel also ein Ding zwischen diplomatischem Verkehr, Besitzanspruch  und Rechtswesen, die alle drei so widerrechtlich, unmoralisch und bösartig verwendbar sind wie jede technische Errungenschaft.

Der Titel erscheint bei Google übrigens markant als Titel eines alten Musicals von 2013 – „Systemfehler – Wenn Inge tanzt“: es war eine Posse über die Ökologen im Lande. Nur wer genau hinsieht findet die aktuelle, womöglich tragische Version von gestern: die Selbstbehauptung des Rechtsstaates. Zwei Frauen haben diese Lawine ins Rollen gebracht; 2024 hat der BGH die Urteile bestätigt, wonach es überhaupt keine „Gesetzeslücke“ gab, welche den Raub am Steuerzahler ermöglicht hätte. 17 Anklagen wurden inzwischen erhoben, jede betrifft Millionen, wenn nicht Milliarden Euro Räuberschulden. Gerade wird für die kommenden Prozesse ein Erweiterungsbau der Staatsanwaltschaft in Köln gebaut. Dieser Akt erinnert an das Mark der deutschen Geschichte.

2025-04-23T13:23:09+00:0004 '25|Gesprächsrundschau|

15. April 2025 – Gebet und Blatt,

diese beiden Hauptschlagadern unseres dialogischen Organismus stehen vielleicht in den letzten Zügen. Wiederholt sagte Trump im berüchtigten Oval Office Streit mit Selensky: „Sie haben keine guten Karten, sie haben kein Blatt in der Hand, was wollen Sie überhaupt?“ Diese Rede vom ‚guten Blatt‘ haben die Journalisten aufgenommen. Es bedeutet blanken Zynismus – es suggeriert: diese ganzen Kriegsverhandlungen sind doch nicht mehr als ein Kartenspiel. Das mag so sein – für die Oligarchen und Milliardäre in schwer bewachten Palästen oder auch in den Wettbüros weltweit; ist es aber nicht auf den nationalen Kriegsschauplätzen, wo verwundet und gestorben wird, egal, ob zivil oder armiert. Was wurde aus dem krassen Gegensatz zum Kartenspiel, was wurde aus dem Gebet: dieser Säule des Gesprächs in allen Religionen? Eine der ältesten und tiefsinnigsten Kulturtechniken, die alle Schattierungen von Unterwerfung , Hilflosigkeit, Bitten und Fragen und Vorwürfen umfasst, aber auch Danksagung, Gedenken und Versprechen? Linguisten könnten überlegen, ob ein Gebet ein „Sprechakt“ sei, Dichter und Dichterinnen haben es in Literatur verwandelt,  angesiedelt nahe beim Selbstgespräch, wie in der Litanei vom Rosenkranz. Gebete haben ihre eigene Gestik: der Mensch faltet die Hände, der Mensch kniet, der Mensch legt sich hin vor seinen Gott – ohne den es eben diese Kulturtechnik nicht gäbe. Wie desaströs agieren seit Jahren die  orthodoxen Priester der Ostkirche im Ukrainekrieg. Inzwischen wurde sie dort verboten – aber was wird aus den Gläubigen? Welche Feiertage werden von wem begangen?

2025-04-15T17:15:59+00:0004 '25|Gesprächsrundschau|

10. April 2025 – Zollgespräche

Dass sich ein Handelskrieg , wie der eben von Trump entfachte, zwischen das diplomatische und das Gespräch von Waffen schieben könnte, wusste man zwar schon immer, aber als WeltAnwendung, im sozusagen globalen 360 Grad Gestus, ist es neu. Trump wirkt wie ein Hammerwerfer kurz vor dem entscheidenden Wurf: er dreht sich im Kreis, zentrifugal beschleunigt, um endlich ins chinesische Herz zu treffen. Dass dabei zahlreiche Börsianer und Oligarchen viel Geld verdienen, der Rest der Völker aber in Angststarre oder Wut verfällt, gehört wohl zu den Nebenwirkungen. Gibt es Abschnitte der US Verfassung, die so ein Gebaren erlauben oder verbieten? War jemals vorgesehen, dass ein Immobilienmakler präsidentiell das eigene Land wirklich ökonomisch als Eigentum behandelt?

2025-04-23T13:22:40+00:0004 '25|Gesprächsrundschau|

22. März 2025 – Ein Podcast Himmel

ist vorhanden, man glaubt es kaum, aber das Radio hat sich öffentlich-rechtlich wie auch privat flächendeckend in eine dialogische Institution verwandelt. Was früher vielleicht der BLOG jedes Einzelnen war, ist jetzt zum Gespräch von zwei oder mehr Personen geworden: zu allen möglichen Themen, aber grundsätzlich informiert, neugierig, zuweilen humorvoll am Rand des small talks entlang. Alle werden offenbar von einer moralischen Anstrengung fakeloser Mitteilung getragen, oft spielen Experten eine entscheidende Rolle. Ist das ein Rückgrat demokratischer Einstellungen? Dazu passt, dass Trump soeben die Finanzierung von Radio Free Europe und Radio Liberty eingestellt hat. Man überlegt, ob Europa beides übernehmen könnte.

Aber nein, natürlich gibt es auch Podcasts mit undemokratischen Teilnehmern und unterirdisch bösartigen Botschaften. Der Podcaster Joe Rogan muss hier genannt werden. Elon Musk liess sich von ihm Bekenntnisse gegen Empathie als  „zivilisatorischen Selbstmord“ entlocken. Gemeint war Mitgefühl etwa mit sozialhilfsbedürftigen Einwanderern. Heute berichtet die FAZ aber auch vom benachbarten Wortfeld, wie etwa dem verruchten „R-Wort“, namens „retarded“; zu Deutsch „zurückgeblieben“, „geistig behindert“. Es gehört zur intellektuellen Kriegstüchtigkeit von Darwinisten, zu Erben der britischen Eugenik und Euthanasie. Der Guardian hat mitgezählt: mindestens 16 mal nannte Musk letztes Jahr Menschen „retarded“, um sie herabzusetzen. In manchen Szenen gilt das Wort geradezu als schick. Trump drückt sich noch militanter aus, wenn er von „schlechten Genen“ ausländischer Mörder spricht. In Wahrheit geht es aber auch um den inländischen Kulturkampf gegen „wokeness“, im Sinne dessen, was Putinisten als „Dekadenz“ bezeichnen. Die alte Frontlinie zwischen „wertem“ und „unwertem“ Leben bricht wieder auf. Der deutsche Germanist Walter Müller-Seidel hat vor Jahren eine biographische Studie über den Erfinder dieser Rassenkunde verfasst: über den Schriftsteller und Psychiater Alfred Erich Hoche, CoAutor eines Buches zur „Freigabe der Vernichtung lebensunwerten Lebens“. Es erschien 1920 und fußte auf  Weltkriegsstatistiken zur Bedürftigkeit. Wie konnte eine Volkswirtschaft mit den zahllosen KriegsVeteranen fertig werden? Hoches berühmtester Doktorand war etwas später kein anderer als Alfred Döblin.

2025-03-22T17:46:53+00:0003 '25|Gesprächsrundschau|
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