Gesichtsrundschau

27. September 2025 – Diella, eine albanische Ministerin

wurde soeben vom Regierungschef Rama als Instanz gegen wuchernde Korruption ernannt, oder besser: eingesetzt, denn es ist eine Künstliche Intelligenz mit dem Gesicht einer beliebten Mediengestalt, die bisher schon im Bürgeramt als chatbot half. „Die Sonne“, heisst Diella auf deutsch, geht nun also auf im einst sowjetischen Albanien, wenn  öffentliche Ausschreibungen anstehen und sie alle nötigen Daten im Handumdrehen präsentieren kann. Sie trägt albanische Kleidung und hat eine vertraute Stimme. Die Entscheidung zu so einem Schritt entspricht etwa dem Einsatz einer Expertenregierung, wenn keine Koalition zustandekommt. Präsident Rama  war und ist eigentlich Künstler. Zeichnet gern während der Arbeit, etwa bei Sitzungen. Eleganter und wirkungsvoller und zugleich bescheidener als Diella könnte keine Menschenfrau auftreten. Man  möchte ihr Glück wünschen bei diesem unerhörten Experiment. Und die Künstler allesamt auffordern, sich vom Polster der Kulturförderung zu erheben und mit KI zu arbeiten.

2025-09-27T17:09:51+00:0009 '25|Gesichtsrundschau|

12. September 2025 – Masken von Mördern

beschrieb das liberale Medium der Schweiz, journal21, gestern ausführlich. Es ging um zwei Reserveoffiziere der israelischen Armee, die nur maskiert vor die Presse traten, aus Furcht und aus Scham. Sie spürten wohl, meinte  Ignaz Staub, dass die zukünftigen Einsätze gegen Gaza ungesetzlich und unmenschlich wären und Anlass zu einer Anklage vor dem Internationalen Gerichtshof werden könnten. Staub beschreibt ausführlich, welche Rolle die Siedler inzwischen bei Netanjahus imperialem Wahnsinn spielen, dass sie schwere Geräte heranschaffen, um die Stadt dem Erdboden gleichzumachen. Trumps Vision einer Riviera des Orients hat Israel gefesselt: sowohl als Einkommens- als auch Lebensform. Das Paradies auf Erden, ermöglicht vom wahren Messias. Noch Ende der neunziger Jahre nannte man Netanjahu nur „Esel des Messias“ – inzwischen ist er es offenbar selber.

2025-09-12T08:46:36+00:0009 '25|Gesichtsrundschau|

31. August 2025 – Trumps Gesicht

wird heute in der New York Times besprochen, vom Opinion Columnist Jamelle Bouie. Er widmet sich einem Foto der letzten Woche: „It’s of a scene in Washington, D.C., taken a few days ago. In the background, you see the Department of Labor building. Hanging on its right side is a large American flag; hanging to its left is a huge banner of President Trump with the phrase ‚American Workers FIRST.‘ It is the president’s official portrait, supposedly inspired by his mug shot. He’s glowering, less a servant of the public than a stern, unforgiving father. He seems to demand respect and obedience without promising anything in return.“
Das Foto, schreibt Bouie weiter, zeigt Soldaten, die auf den Präsidenten zumarschieren, assoziiert also kitschige Führerverehrung mit Arbeiterkult und militarisierter Hauptstadt. „Das Weisse Haus will zeigen: das Spiel ist aus, wir haben gewonnen.“ Wer könnte darüber nicht erschrecken, zumal nicht, wenn -noch kitschiger – ein Friedensnobelpreis dahinter lauert. Wieviel Krieg soll dieser Preis kosten?

 

 

2025-09-01T07:43:48+00:0008 '25|Gesichtsrundschau|

24. August 2025 – „Das Gesicht verlieren“

ist eine alte Redewendung:  ursprünglich chinesisch, dann englisch, schliesslich deutsch: Ehrverlust, Glaubwürdigkeitsverlust war damit gemeint. Im europäischen Mittelalter gab es aber auch eine Prangerstrafe für sexuelle Vergehen: Verlust der Nase. Weshalb es schon früh auch eine kosmetische Chirurgie mit Elfenbein oder ähnlichem Material gab – Sander Gilman hat diese Geschichte nachverfolgt (Princeton 2000). Seltsamerweise spielte dieses Motiv in der Tradition des rituellen Duellierens  (etwa bei Studenten) gerade keine Rolle: eher umgekehrt waren Schnitte im Gesicht Zeichen von Mut, sogenannte „Schmisse“ von Burschenschaftlern.
Die aktuellen Medien berichten oft vom „drohenden Gesichtsverlust“, den man aus unterschiedlichen Gründen abwenden muss: sexuelle Vergehen, Lügen vor Gericht, nicht eingehaltene Versprechungen. Der Verlust der Ukraine würde für beide Präsidenten gefährlich, aber auch für den amerikanischen Donald Trump, der sinnlos naiv als Friedensapostel auftritt.
Das Gesicht als ikonische Formel spielt aber auch in der Geschichte des Geldes eine uralte Rolle: wessen Gesicht eine Münze trägt, gilt als Garant ihres Wertes auf einem bestimmten Territorium. Trump möchte gern zurück zur Goldmünze, als Garant der Weltwährung, am besten mit seinem Gesicht. Hitler kam nicht auf Münzen, wohl aber auf Briefmarken. Mit seinem Konterfei auf der 5 Pfennig Marke finanzierte er teilweise den Bau von Obersalzberg.

2025-08-25T08:11:53+00:0008 '25|Gesichtsrundschau|

19.08.2025 – Eisige Gespräche 2.0

auch wenn gestern die Europäer nach Washington reisten, um dem gepeinigten  Selenskyi beizustehen – ein Blick auf den nervösen Diktator verriet, dass der Zuwendung nur simulierte. Ab und zu sah er missgelaunt zu seinem eifrig bemühten Gast,  dann wieder missgelaunt ins Publium. Beide Hände  zappelten derweil  vor der obszön langen knallroten Krawatte (male symbol) nach Art von Merkels Raute (women’s symbol), ungeduldig bis in die Fingerspitzen. Alle misstrauischen Besucher sahen es, wenn auch weniger genau als jeder TV Konsument, also das Fernsehauge.
Was immer vor der Bühne unter Putins Aufsicht verhandelt wurde, es stand unter der Drohung von J.D.Vance vom letzten November: falls die EU die Einschränkungen des Digitalgesetzes gegen Elon Musk nicht fallenliesse, hätte es Wirkung auf Amerikas Natobeistand.  Aber gilt dieser Nato-Schutz wirklich noch für Mr. Musk? Wie ohnmächtig wäre das griechisch-römische Recht gegen den Wilden Westen!

2025-08-19T12:16:20+00:0008 '25|Gesichtsrundschau|

13. August 2025 – furiose Arbeit am Gesicht

kann man in den Werkstätten des homo visibilis von heute erkennen: buchstäblich, nicht nur im philosophischen oder politischen Sinn. Das heutige Datum erinnert zwar an den Mauerbau und also an die Züchtung des homo sovieticus; die Russistin Jutta Scherrer hat an diese fanatischen Leistungen des Bolschewismus erinnert: „Baustelle Mensch“, nannte sie ihr eben im Springer Verlag erschienenes Buch über „Humanismus in der Sowjetunion“. Rabiate Biopolitik gehörte in dieses Umfeld –  nicht nur im NS Deutschland mit seinen eugenischen Phantasmen .
Die westliche Welt hat sie nach 45 anders entwickelt, jenseits einer oder sogar gegen die Hoffnung auf einen neuen Menschen. Da sind die fanatischen Entwürfe der „Face detection“, die jedem Diktator zur Kontrolle ganzer Nationen dienen; da sind andererseits die Schönheitsvisionen der globalen Kosmetik- und Filmindustrie. Kim Kardashian heisst momentan der Engel an diesem Himmel, der sogar Masken zur Schönheitslinie des Knochenbaus liefert.  Andrii Kopchak heisst der irdische Erlöser im ukrainischen Kriegslazarett: der Mann, der entstellte Soldatengesichter wieder flickt oder gar herstellt.

Die archaischen Ängste, mit einem versehrten  Gesicht ein Leben in Familie und Gesellschaft verloren zu haben, kann niemand nachfühlen, der dieses Schicksal nicht kennt. 1919 liessen die Franzosen im Spiegelsaal zu Versailles französische Gesichtsversehrte auftreten, als Schock, während die Deutschen den Friedensvertrag unterzeichneten. 1924 erschienen solche  Porträts in dem Band „Krieg dem Kriege“ von Ernst Friedrich: viersprachig und später weltweit übersetzt. Wie werden wir  mit den Veteranen des russischen Humanismus, vulgo Vernichtungskrieges, umgehen?

2025-08-13T14:22:11+00:0008 '25|Gesichtsrundschau|

4. August 2025 – Merkel im Selfie

Der neue SPIEGEL feiert den zehnjährigen Geburtstag des berühmten Selfies von Anas Modamani und Angela Merkel.  Sie begegneten sich in Spandau, sie stieg aus dem Auto, er stand günstig und knipste geistesgegenwärtig mit dem Handy. Zeitgeschichte im Inbild, zwei Gesichter von frappierender Narrationsgewalt. Inbegriff von Merkels „wir schaffen das“, aber auch eine bald glühende Hassvorlage für deutsche, besser: für ostdeutsche Xenophobie. Der große Artikel des SPIEGEL resümiert die heutige Lage und erinnert an die hochdramatischen Auseinandersetzungen um Flüchtlingszu – und abwendung. Auf der Hasswelle surfte die AfD nach oben; heute ist sie wahrhaftig bei 25% Prozent und mit Blick auf die kommende Thüringer Landtagswahl 2026  als Partner des BSW  denkbar übermächtig. Was aus der europäischen Flüchtlingspolitik wird, weiss niemand, weil niemand die erratischen Zuckungen der US Politik vorhersehen kann.

Das Geschäft des Gesichterlesens ist uralt. Verwandt mit ihm ist die babylonische Vogelschau, die Leberwahrsagung, Hepatomantie; verwandt ist sie vor allem mit dem Handlesen. Gerade jetzt, in maximal unsicheren Zeiten, würde man gern in diese archaische Stammeslehre zurückfallen. Stattdessen verlangt entweder face detection unser Gesicht als Ausweis; oder Botox formatiert es als physischen Prompt im sozialen Influencer- und Medienrummel. Last but not least erscheinen immer mehr glatt glänzende Robos auf der Bildfläche; vor allem Sweaty, der Schachroboter, der uns längst überholt hat. Faltenlos, mit etwas ruckeligen Bewegungen, aber glühenden Augen. Was kostet wohl so eine Partie gegen den Menschengeist, der Sweaty immerhin kreiert hat, an Strom?

2025-08-04T17:54:38+00:0008 '25|Gesichtsrundschau|

22. Juli 2025 – Im Flecktarn

wird man unsichtbar, oder fast unsichtbar: heute meldet die FAZ, dass ein in Tschechien erfundener Mantel als Tarnkappe die Soldaten vor Drohnen verbergen könnte. Wir werden an Harry Potter erinnert, und richtig, die Schwelle der gerade tobenden Kriege zur Unterhaltungsindustrie ist bedenklich schmal. Die erste tranche wird an die Ukraine geliefert, deren Präsident ja einst als Schauspieler seiner eigenen Rolle glänzte. Finanziert hat zur Hälfte das Crowdfunding einer NGO für rund 150 Umhänge; den Rest sponsort 4M, wer immer das ist.
Dass Schattenflotten, Tarnkappen, Bots und Trolle, Cyberangriffe und hybride Kriegsführung insgesamt die Kriege allmählich im Sinne der game Industry umformatieren, begleitet von Fiktionsbrillen wie von Zuckerbergs Meta, muss uns nicht wundern. Wundern muss man sich aber über die Insistenz von Abtreibungsgegnern, dem menschlichen Leben eine heile Zukunft zu erstreiken, tel quel, wie es immer schon war und entstand. Wie kann man Kindern, die dem gaming verfallen sind, eine menschliche Psyche garantieren, wenn sie nur kein handy mehr zur Hand nehmen dürfen? Und wäre eine menschliche Psyche, entstanden durch Umgang mit lauter Menschen bis zum 12. Lebensjahr ( allenfalls noch mit Haustieren), schliesslich noch kriegstüchtig?

2025-07-22T14:42:52+00:0007 '25|Gesichtsrundschau|

14. Juli 2025 – Face Revolution

heute, zum hohen französischen Gedenken an den Sturm auf die Bastille 1789, vulgo „Französische Revolution“, denken wir lieber ans Gegenteil, an die Unterwerfung des Volkes durch herrschende Technik.  Marina Münkler stellt in der Zeitschrift APuZ vom 28. Juni den dramatischen Übergang „Von der Parteien- Zur Plattformdemokratie“ vor: als kaum überschätzbaren Wechsel zur „Mediokratie“. Was als revolutionäre Erneuerung der Demokratie auftrat, führte zu Theatralisierung,  zur Versklavung der PolitikerInnen im Dienst der Imagebildung. Mit Einführung des Internets folgte die „Schwarmintelligenz“ , als „Ausdruck der Hoffnung , dass sich Wissen im Schwarm egalitär verbreiten würde.“ Nie zuvor konnte man so leicht an Information gelangen, nie zuvor gab es aber auch derart kollektive Wissensmeuten wie durch die „sozialen Medien“. Und Meuten waren es vornehmlich durch zwei Tonarten des Kapitalismus: Werbung und Überwachung. Beides hat weniger mit Wörtern zu tun als mit Bildern. Beides hantiert mit einer physischen Währung, die früher „das Gesicht“ hiess, aber inzwischen zur Reizfläche verkam. Überwachung sucht das Gesicht als QR Code mit verkäuflichen Daten; Werbung sucht weltumfassend nach käuflicher Schönheit. Dazwischen liegt die schwer fassbare kommunizierende „soziale Medienwelt“ mit Erfindung der emojis. Eine asiatische Bilderschrift, die ursprünglich vom US amerikanischen Professor für Physiognomik Paul Ekman (*1934) evoziert wurde, in Gestalt einer Gesichtslesekunst mit zweitausendjähriger Tradition. Nonverbale Kommunikation nannte er das, was Personen aller Geschlechter, aber auch Haustiere, mimisch kommunizieren; Freude, Stolz, Überraschung,Wut, Trauer, Ekel, Verachtung. Diese sieben Emotionen hielt er für kulturübergreifend, weltweit verständlich. Die Erkenntnis boosterte die US Filmindustrie, stammte selbst aber aus dem Stummfilm. So auch das wissenschaftliche Projekt von 1978: das „Face Action Coding System“, das immerhin zehntausend mimische Kundgaben für möglich hielt und entsprechende kulturelle Varianten.  Rund vierzig Jahre danach führte Facebook immerhin fünf Emojis ein: das Herz, das lachende, das erstaunte, das traurige, das wütende Smiley, und griff damit „extrem steuernd in die Kommunikation ein.“

Auch die israelische Soziologin  Eva Illouz hat in ihrem neuen Buch „Explosive Moderne“ (2024)  die Rolle der visuell dominierten mailkommunikation ausführlich diskutiert. Die dialogische Anordnung in Facebook oder WhatsApp: erst Bild oder Aussage, dann der Daumen mit Ja oder Nein, oder sonst einem visuellen Symbol, entspricht der grundsätzlichen Entwortung.  Mit den Smileys ausgetauscht werden Gesten – wie unter Gehörlosen. Oder wie unter Tieren.

2025-07-14T13:26:46+00:0007 '25|Gesichtsrundschau|

2. Juli 2025 – „Zurück zur Natur“

lautete um 1800 der Slogan aus Rousseaus Gesellschaftskritik, der Mitte des 18. Jahrhunderts die menschliche Zivilisation abschaffen wollte, sofern sie gegen die Grundwerte von Freiheit, Gleichheit und Authentizität verstiess. „Natürlichkeit“  wurde zum Idol deutscher Romantik und aller Gegner technoider oder verkrampft höfischer Attitüden. So auch in der Jetztzeit, kein Wunder, aus weiblicher Ecke. Im Mai schrieb die FAS  im Wirtschaftsteil:

„Der ‚No Make-up Look‚ macht Schule. Eine Revolution in der Beauty Branche bahnt sich an. Der Siegeszug der Mascara  scheint gebrochen. Wimperntusche galt jahrzehntelang als unschlagbarer Topseller für die Konzerne. Ein ungeschriebenes Gesetz in der Kosmetik besagte: Alles kann man weglassen, wenn die Zeit knapp ist,  Make up, Puder, Rouge, Lippenstift, nur die Mascara nicht. Ohne sie verlässt man nicht das Haus.“

Der Artikel handelte von der globalen Bewirtschaftung einer winzigen Nacktfläche des weiblichen Körpers; winzig im Verhältnis zum ganzen, aber natürlich riesig angesichts der Ausbeutungsmöglichkeiten in sämtlichen visuellen Medien seit Erfindung der Malerei – nicht zu vergessen im ganz realen Konkurrenzkampf der Körper auf dem Markt der Eitelkeiten. Über den „No Make-up-Look„freut sich die Branche, weil natürliches Aussehen nicht einfach durch Nacktheit entsteht. Man suchte und fand vielmehr immer neue Kosmetika und Pflegeprodukte zur „Clean-Girl-Ästhetik„. Hautunreinheiten müssen in glatter Hautillusion verschwinden, das Auge soll von selbst erstrahlen, Lippen ohne teures Aufspritzen wirken. Die Kosmetiktasche hat jetzt statt zwanzig, eher vierzig Produkte – gestylt nach den Influencerinnen auf TikTok. 18,6,Milliarden Euro haben deutsche Frauen und Mädchen 2024 angeblich investiert. Wird es mehr Kinder geben?

2025-07-02T14:48:38+00:0007 '25|Gesichtsrundschau|
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