Anders konnte es wohl nicht kommen. Putin zerbombt seit Tagen die Ukraine – diese Ukraine sucht Schutz bei der EU – Friedensgespräche mit Russland werden unter dem unverdienten Namen an geheimen Orten geführt, während die Infrastruktur des Landes zersplittert. Der Osteuropahistoriker Karl Schlögel ist der Autor der Stunde. Bereits 2015 veröffentlichte er ein Buch „Entscheidung in Kiew“, über den Maidan- Aufstand und die Okkupation der Halbinsel Krim: das Modell für die gegenwärtige „Rückholung“ eines ganzen Landes. In jahrelanger Reiseforschung hat Schlögel die geschichtsträchtigen Städte erlaufen und beschrieben: Kiew, Charkiv, Odessa, Mariupol, Lemberg, und viele mehr. Damals standen sie noch unversehrt. Heute muss man sie nachlesen.

Immer deutlicher wird der Bauplan jene Kulturtechnik namens Dialog, die in diesem Tagebuch seit vielen Jahren beobachtet wird. Dieser Bauplan gleicht einem von unten zerbröselnden Baum, obgleich die rasante Ausdifferenzierung der technischen Medien eigentlich seine Blüte simuliert, vergleichbar den genealogischen Bäumen mit starkem Stamm und zahlreichen Nachkommen. Den Zerfall beschleunigen Hass und Lüge auf der untersten sozialen Ebene, am Stammtisch, in der Familie, unter Freunden und erst recht Feinden. Auf höherer Ebene spielen sich Duelle aller Art ab, zwischen Medien, Institutionen, Ländern und Kontinenten. Vor zwei Tagen wurde nun noch ein letzter Dialog auf der obersten Ebene verlangt: zwischen Putin und Joe Biden. Ist er noch denkbar? Könnte er die Kulturtechnik „heilen“?